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Treibland

Treibland

Titel: Treibland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Till Raether
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Plänen verabschiedet, egal, wie sie hießen. Aber bedeutete das, Zeit zu haben? Im Gegenteil. Steenkamp holte aus und schlug hundertachtzig, vielleicht zweihundert Meter. Die Luft und alles, was ihn an Peters und dem Leben störte, entwich aus ihm. Für zwei Sekunden genoss er das Gefühl, dann atmete er wieder ein. Er ging los und winkte leutselig Richtung Caddy, der ihnen in Zwanzig-Euro-Abstand folgte.
    «Kommen Sie zum Krisenstab», sagte Peters, der ihm nachlief. «Wir brauchen Sie jetzt.» Und dann, mit einem weiteren Anflug von Schmierantentum: «Hamburg braucht Sie!»
    Steenkamp veränderte weder seine Schrittgeschwindigkeit noch seinen Gesichtsausdruck. Er sagte nichts. Alle brauchen mich, dachte er. Die ganze Menschheit braucht mich. Und ich brauche niemanden mehr. Ist das gerecht?
    Alle, die ich brauche, sind inzwischen Geister.
    Er beschloss, sein Bestes an zerbrechlicher Entschlossenheit in seine geübte Altmännerstimme zu legen, als er sagte: «Und jetzt habe ich auch eine Frage. Warum sind Sie noch hier?»
    Etwas in Peters’ Gesicht verhärtete sich. Es war nur eine Nuance, aber Steenkamp nahm sie deutlich wahr: So, als hätte Peters’ Gesicht sich von einem Moment zum anderen mit einer brüchigen Lackschicht überzogen, die jetzt starr in der Sonne glänzte. «Und, gefällt Ihnen Ihr Bild?», fragte Peters, als würden sie hier Konversation machen, aber mit für Steenkamp hörbar drohendem Unterton. Das Bild. Doch, das Bild gefiel ihm, aber so hätte er es nicht ausgedrückt, also sagte Steenkamp nichts und schüttelte unwillkürlich den Kopf.
    «Es wäre gut, wenn Sie kommen», sagte Peters, ohne seiner Stimme eine weitere charmante oder subtil komödiantische Note zu geben. «Sie wissen, worum es geht.»
    Steenkamp reichte dem Caddy seinen Schläger, wandte sich von Peters ab zum Grün und sagte im Weggehen: «Wir werden sehen.» Ihm war klar, dass dies bedeutete: Ja, gut. Er spürte, dass die Welt der Menschen ihn wiederhatte, obwohl er gemeint hatte, ihr von der Schippe gesprungen zu sein. Und er hasste, wie sich das anfühlte.

28 . Kapitel
    Ein Paar schwarze Halbschuhe, die einmal gut gewesen waren, im Sinne von: Ich zieh heut Abend meine guten Schuhe an. Und dann hatte er angefangen, sie jeden zweiten Tag zur Arbeit zu tragen, und jetzt hätten sie längst besohlt werden müssen, und über den Knöcheln war das Leder gebrochen.
    Ein Paar schwarze Socken, das eigentlich keins war: von unterschiedlichen Bekleidungsketten.
    Eine graue Boxershorts. Also tatsächlich von Hause aus grau, in Bangladesch maschinell zugeschnitten und genäht aus einem im gleichen Land grau gefärbten Stoff.
    Ein weißes T-Shirt, das sich in der Farbe über die Jahre langsam der Unterhose annäherte.
    Ein hellblaues Baumwollhemd mit elfenbeinfarbenen Plastikknöpfen, langweilig und zuverlässig.
    Ein schwarzer Ledergürtel, von dessen Schnalle die silberne Legierung abging. Daran ein leeres Pistolenholster aus hellem Naturleder.
    Eine silberne Timex mit flexiblem Metallarmband, deren Beleuchtung kaputt war.
    Ein etwa acht Jahre alter graubrauner Anzug, dessen Farbe ihm nie besonders gefallen hatte, und den er darum erst wieder aus dem Schrank geholt hatte, als es eigentlich zu spät war. Drei Knöpfe, nicht eng genug, irgendwie falsch.
    Aber der Anzug hatte große Taschen. Darin steckte eine Brieftasche, voll mit alten Quittungen, nutzlosen Ausweisen und zu wenig Bargeld, um sich im Souvenirladen oder in der Boutique «Jungfernstieg» ein groß gemustertes Kurzarmhemd, eine Golfhose oder ein T-Shirt mit «Große Freiheit»-Logo zu kaufen. Eine gesperrte Kreditkarte. Vor Monaten vergessen, sie freischalten zu lassen, nachdem sie ihm doch nicht im Urlaub gestohlen worden war. Und ein Foto, auf dem seine Frau Anfang zwanzig war. Kein Foto von den Kindern. Dafür das ausgedruckte von Carsten Lorsch und Simone Bender.
    Ein Notizbuch, kariertes Papier, Spiralbindung, auch nichts Dolles.
    Kugelschreiber ebenso: Bic-Imitat, kurz vorm Auslaufen.
    Eine Türöffnungskarte für die Innenkabine einer fremden Frau. Nicht so spannend, wie es klang, aber zweckmäßig, denn solange Simone Bender verschwunden war, hatte er dadurch einen Schlafplatz. Ohne Fenster. Ohne Licht, wenn der Strom aussetzte.
    Eine Handvoll Kieselsteine. Wenn man eine viel kleinere Hand hatte als er. Eigentlich eher einfach nur ein bisschen Dreck.
    Ein Schlüsselbund, an dem hier alles sinnlos war.
    Eine Sonnenbrille, schwarz, Plastik, leicht zerkratzt.

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