Treue in Zeiten Der Pest
wurden erste Schritte in Richtung einer eigenständigen europäischen Medizin möglich.
Was nach dem Zerfall des Römischen Reichs in Westeuropa an medizinischen Schriften erhalten geblieben war, gelangte bereits im frühen Mittelalter in die Klöster und wurde wie alle anderen Überbleibsel antiken Schrifttums in den dortigen Bibliotheken bewahrt. Darunter befanden sich neben medizinischen Texten auch philosophische und naturkundliche Abhandlungen. Die Mönche sorgten durch die Archivierung und das Abschreiben der antiken Werke ähnlich wie die Araber zwar auch für den Erhalt des überlieferten Wissens, eine eigene Weiterentwicklung der tradierten Theorien blieb jedoch aus. Gänzlich unbeachtet blieben die heilkundlichen Ideen der Antike allerdings nicht, denn die Pflicht, zu pflegen und zu heilen, war ein Auftrag, den schon der heilige Benedikt von Nursia (480-547) im 36. Kapitel seiner Klosterregel niederlegte: »Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen«, heißt es dort, und es werden auch Vorschriften für den Umgang mit Kranken erteilt: »Die kranken Brüder sollen einen eigenen Raum haben und einen Pfleger, der Gott fürchtet und ihnen sorgfältig und eifrig dient.« Sich anlehnend an diese Vorschrift, sah der St. Gallener Idealplan eines Klosters ein eigenes Bad für die Kranken, einen Garten mit Heilkräutern und ein separates Ärztehaus sowie ein Haus für den Aderlass vor.
Besondere Bedeutung für den Erhalt der antiken medizinischen Schriften erlangte das vom heiligen Benedikt gegründete Kloster Monte Cassino, denn hier wurden die hippokratischen Schriften, die Werke des Galen und das Kräuterbuch des Dioskurides ins Lateinische übersetzt. Aber auch an anderen Orten bemühte man sich um die Medizin. In Sevilla machte sich Bischof Isidor (ca. 570-636) mit seinen Werken um den Erhalt antiken Wissens verdient, auf der Insel Reichenau war es Abt Walafried Strabo (808-849), und in England wirkte Beda Venerabilis (673-735). Auch eine Frau nimmt unter den schreibenden europäischen Medizinern des Mittelalters eine bedeutende Stellung ein: Die Äbtissin Hildegard von Bingen (1098-1179) legte in ihren Schriften Physica und Causa et Curae ihr medizinisches Wissen nieder, wobei sie sich vor allem auf die Heilkräfte von Pflanzen, Tieren und Mineralien konzentriert.
Die in den Klöstern und von den Weltgeistlichen gepflegte Medizin fand jedoch im 12. und 13. Jahrhundert ein erzwungenes Ende. Auf dem 1130 abgehaltenen Konzil von Clermont wurde zunächst ein Praxisverbot für Mönche und Kanoniker ausgesprochen. Verschärft wurde dieses Verbot durch eine 33 Jahre später auf dem Konzil von Tours erlassene Verfügung, die untersagte, dass Mönche eine medizinische Ausbildung erhielten. Damit war die Klostermedizin am Ende. Auf dem IV Laterankonzil im Jahr 1215 wurden dann auch den Weltgeistlichen die medizinische Ausbildung und die Ausübung der Chirurgie verboten.
Diese Verbote hatten weit reichende Konsequenzen für die europäische Heilkunde. Diese fiel nun in die Hand der Laien, und so richtete man an den frühen Universitäten, an denen zunächst nur Theologie und Jura gelehrt worden waren, nach und nach auch medizinische Fakultäten ein, wo die Ausbildung der Ärzte erfolgte. Die Chirurgie wurde in diesem Zusammenhang allerdings von der übrigen Medizin isoliert, denn Chirurgen wurden den Handwerkern zugerechnet, eine universitäre Ausbildung erhielten sie nicht. Medizinische Theorie und Praxis gingen somit von nun an lange Zeit getrennte Wege, was dem Ansehen der Medizin in der Bevölkerung nicht immer förderlich war.
Auf theoretischem Gebiet erlangte insbesondere die Medizinschule von Salerno im Mittelalter große Bedeutung. Dort soll es schon um das Jahr 900 eine Kooperation zur Pflege der hippokratischen Medizin gegeben haben, aus der in den folgenden hundert Jahren die Medizinschule hervorging. Ihren größten Einfluss erlangte die Schule im 11. Jahrhundert, denn hier wurden zahlreiche arabische Medizintexte ins Lateinische übersetzt. Ausschlaggebend für die rege Übersetzertätigkeit war der ehemalige arabische Kräuterhändler Constantinus Africanus (1018-1087), der, als er des mangelhaften Wissensstands der europäischen Heilkundeliteratur gewahr wurde, hippokratische Texte, die Werke Galens und das Werk des arabischen Arztes Hali Abbas ins Lateinische übersetzte und so den hervorragenden Ruf der Medizinschule begründete.
Trotz all des erhaltenen und neu hinzugewonnenen
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