Treue in Zeiten Der Pest
folgendermaßen:
»Jede Geißel war eine Art Stock, von welchem drei Stränge mit großen Knoten vorne herabhingen. Mitten durch die Knoten liefen von beiden Seiten sich kreuzende, eiserne, nadelscharfe Stacheln, die in der Länge eines Weizenkorns oder etwas mehr aus den Knoten ragten. Mit solchen Geißeln schlugen sie sich auf den entblößten Oberkörper, sodass dieser blau verfärbt und entstellt anschwoll und das Blut nach unten lief und die benachbarten Wände der Kirche, worin sie sich geißelten, bespritzte. Zuweilen trieben sie sich die eisernen Stacheln so tief ins Fleisch, dass man sie erst nach wiederholten Versuchen herausziehen konnte« [zit. n. Bergdolt, 1995, S. 111].
Die Geißelbrüder wurden von den Kirchenoberen allerdings nicht gern gesehen. Schon am 20. Oktober 1349 verurteilte Papst Clemens VI. (1342-1352) ihre Umtriebe aufs Schärfste. Die Geißler ließen sich dadurch jedoch nicht von ihrem Tun abhalten: »Sie nahmen keine Notiz von der päpstlichen Bulle gegen sie, bis die Fürsten, Adligen und mächtigeren Bürger begannen, sie auf Distanz zu halten. Die Menschen in Osnabrück ließen sie niemals ein, obwohl ihre Gattinnen und andere Frauen nach ihnen flehten. Anschließend verschwanden sie so schnell, wie sie gekommen waren, so wie Erscheinungen oder Geister durch Hohn vertrieben werden«, schreibt Heinrich von Herford [zit. n. Naphy/Spicer, 2003, S. 49]. Die Pest konnten die Osnabrücker mit dieser Maßnahme allerdings nicht abwehren, sie suchte die norddeutsche Domstadt trotzdem heim. Nichtsdestotrotz war die Zurückhaltung der Bürger gegenüber den Geißlern aus heutiger Sicht gerechtfertigt, denn diese trugen, gerade wenn sie sich so lange peinigten, bis ihr Blut spritzte, sicher auch einiges zur Verbreitung der Seuche bei, selbst wenn das genaue Gegenteil ihr Ziel war.
Wer anders als die Geißler und deren Anhänger nicht daran glaubte, dass Gott die Schuld an der Seuche traf oder dass reine Buß- und Sühneübungen die Krankheit vertreiben könnten, suchte oftmals nach konkret greifbaren Verursachern der Epidemie. Hier boten die Juden als sichtbar ausgegrenzte Bevölkerungsgruppe eine ideale Zielscheibe.
Obschon Juden seit der römischen Kaiserzeit über ganz Westeuropa verstreut in größeren und kleineren Gemeinden lebten, hatte die christliche Gemeinschaft sie nie als ein Teil ihrer Gesellschaft akzeptiert und sie vor allem auch juristisch nie gleichberechtigt behandelt. Juden galten traditionell als Gottesmörder, da sie, so die einhellige Meinung der Zeit, die Schuld am Kreuzestod Jesu trugen. Wenn auch vereinzelt Kirchenlehrer davon sprachen, man solle die Juden schonen, und auch Herrscher, allen voran die Könige und Kaiser, sie unter ihren Schutz stellten, so gab es seitens der Bevölkerung doch immer stärkere Ressentiments gegen sie. Die Gewährung des königlichen oder kaiserlichen Schutzes basierte ohnehin in erster Linie auf wirtschaftlichen Interessen: Die Juden wurden geschützt, weil sie den hohen Herren Kredite gewährten – und oft auch stundeten –, die diese zur Lebenserhaltung und zu Regierungszwecken bei ihnen aufgenommen hatten. Das Abhängigkeitsverhältnis war allerdings ein beidseitiges, den zahlreichen hochrangigen Kreditsuchenden war es nämlich gar nicht möglich, sich von anderer Seite her Geld zu verschaffen als von den Juden, denn Christen war es verboten, Geld gegen Zins zu verleihen. Den Juden wiederum war per Gesetz jegliche Betätigung außerhalb des Handels oder Geldverleihs untersagt. Juden waren zudem nicht lehnsfähig, sie durften keine Waffen besitzen und wurden gezwungen, auffällige Kleidungsstücke zu tragen, wie den Judenhut oder den Judenring, damit jedermann sie als Juden erkannte. Vorschriften und Gesetze wie diese förderten wohl oft noch den Hass gegen die Juden, weil sie diese bewusst als andersartig und zum gesellschaftlichen Kern unzugehörig darstellten.
Im Jahr 1096, als der Erste Kreuzzug begann, war es im Deutschen Reich erstmals weiträumig zu Judenverfolgungen gekommen, hauptsächlich im Rheinland, aber auch in Regensburg und bis hin nach Prag. Diese Pogrome wiederholten sich in den folgenden Jahrhunderten mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wobei als Anlass immer wieder angebliche Ritualmorde an christlichen Knaben oder Brunnenvergiftungen herhalten mussten. Der Vorwurf der Brunnenvergiftung wurde auch sofort wieder laut, als die Pest ausbrach. Und so begannen zahlreiche Städte und Gemeinden, die Juden zu ermorden
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