Treue in Zeiten Der Pest
Carcassonne, Toulouse und Montabaun und kam schließlich auch nach Bordeaux und in die Papststadt Avignon. Dabei ebbte die Welle nicht ab, die Ausbreitung schritt vielmehr in Richtung Norden voran. Um 1350 erreichte die Krankheit zunächst England über die Seehäfen, dann waren die nordischen Länder im Griff der Pest. Sie sprang über die Inseln der Nordsee, erreichte die Faröer, die Orkneys, die Shetland-Inseln und soll sogar den Siedlungen der Wikinger auf Grönland das Ende bereitet haben. Nachdem sich die Seuche einmal den Weg durch ganz Europa gebahnt hatte, sollte der Schrecken allerdings nicht enden. Der ersten Krankheitswelle, die die Bevölkerung vieler Städte und Landstriche noch zu einem großen Teil verschont hatte, folgte eine zweite, weitaus verheerendere. Hatte Mailand während der ersten Phase beispielsweise zunächst nur 15000 Tote zu beklagen, was der vorausschauenden Gesetzgebung der Stadtherrscher zugeschrieben wurde, traf die zweite Pestwelle die Stadt umso heftiger.
Auch im Deutschen Reich, das ab 1349 von der Pest heimgesucht wurde, blieben nur wenige Gebiete verschont, zumindest während der ersten Pestwelle. Straßburg war eine der ersten betroffenen Städte: »Das Sterben war so furchtbar, dass man täglich in jeder Gemeinde sieben, acht, neun, zehn oder mehr Menschen in Klöster- oder Spitalfriedhöfen beisetzte. Es waren so viele, dass sich die alte Grube für Beerdigungen als zu klein und eng erwies und man die Begräbnisstätte des Spitals von der Kirche weg in einen großen Garten verlegte«, beschreibt der Chronist Fritsche Closener die Zustände in der Stadt. Doch nicht nur hier wurden die Toten in Massengräbern bestattet. Aus Frankfurt heißt es, dort seien 1349 an einem einzigen Tag 35 Tote »ohne Glockenläuten, Kerzen und Priester« beigesetzt worden, insgesamt starben hier über 2000 Menschen an nur 72 Tagen. Alle deutschen Städte verzeichneten gewaltige Verluste an Menschenleben, die genannten Mengen sind im Vergleich zu den damaligen Einwohnerzahlen erschreckend hoch: Mainz zählte 6000 Tote, Münster 11000 und Bremen etwa 7000. An der Beulenpest starben zwischen 3,0 und 80 Prozent der Erkrankten, während die Sterblichkeit bei der Lungenpest bei nahezu 100 Prozent lag.
Auch in den weit entfernt liegenden Deutschordensstaat gelangte die Pest. In Pommern und Pommerellen dezimierte die Krankheit die gesamte Bevölkerung, während in Samland vor allem die Prussen, die Urbevölkerung Ostpreußens, der Seuche zum Opfer fielen. Während der zweiten Epidemiewelle im Jahr 1351 erreichte die Pest auch jene Orte des Deutschen Reichs, die bisher verschont geblieben waren. Wer konnte, verließ die Städte, denn die Flucht war das einzige einigermaßen Erfolg versprechende Mittel, sich vor der Krankheit zu schützen. Doch auch die Flüchtenden hatten ein schweres Los; sie waren Ausgegrenzte und fanden andernorts nur schwer Verpflegung und Quartier, denn überall war bekannt, dass die Pest gerade von Reisenden und Flüchtlingen von einer Stadt in die nächste getragen wurde. So blieben den meisten Flüchtlingen die Tore fremder Städte verschlossen. Weit genug reichte das Misstrauen vieler Gesunder allerdings nicht, und manche richteten es auch in eine völlig falsche Richtung. Während man nämlich einerseits oft den Juden die Schuld am Ausbruch der Pest in die Schuhe schob, hielt man andere Personengruppen, wie etwa die Geißler, allein aufgrund ihrer religiösen Einstellung für immun gegen die Krankheit und öffnete ihnen, in der Hoffnung, sie mochten Schutz vor einer Ansteckung bieten, vielerorts bedenkenlos Tür und Tor.
Die Geißler und das Schicksal der Juden
Die Pest galt mit all ihren fürchterlichen Auswirkungen und angesichts der Hilflosigkeit, mit der man der Krankheit gegenüberstand, den meisten Menschen des Mittelalters als Strafe Gottes. Einhalt konnte einer solchen Strafe nur die Bereitschaft zur Bekennung der Sünden und zur Buße gebieten, so glaubte man. Mittelalterliche Bußübungen konnten allerdings extreme Formen annehmen. So hatten sich beispielsweise schon vor dem Ausbruch der Pest in Europa einige Bruderschaften gebildet, die, während sie lautstark beteten und Bußlieder sangen, öffentliche Selbstgeißelungen vornahmen und durch die Lande zogen. Der Historiker und Theologe Heinrich von Herford beschreibt das Auftreten dieser Bruderschaften, die als Flagellanten oder Geißler bekannt waren, in seiner 1355 verfassten Weltchronik
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