Treue in Zeiten Der Pest
entwickelte sich daraus Niesen und Heiserkeit, und in kurzer Zeit stieg das Leiden unter starkem Husten in die Brust nieder. Wenn es sich auf den Magen warf, drehte es ihn um, und es kam zu allen möglichen Gallenentleerungen, für die die Ärzte Namen haben, und all das unter großen Schmerzen. Die meisten befiel leeres Würgen, das wiederum einen heftigen Krampf bewirkte, bei den einen nach dem Aufhören dieser Symptome, bei anderen auch noch viel später« [Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, II, 49 (1-4)]. Die Kranken bekamen hohes Fieber, wurden von Durst gepeinigt und litten unter Schlaflosigkeit. Nach sieben bis neun Tagen starben die meisten; nur wenige blieben von diesem Schicksal zunächst verschont, und bei diesen stieg das Leiden in der Regel »tiefer hinab in den Unterleib, starke Geschwüre traten dort auf, dazu kam noch heftiger Durchfall – und dann starben die meisten daran wegen Entkräftung« [Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, II, 49 (6)]. Der Tod hielt reiche Ernte in Athen, und die Angst vor einer Infizierung tat ihr Übriges. Da jeder, der die Kranken pflegte, das Risiko einer Ansteckung einging, kamen die Befallenen in der Regel »verlassen um, und viele Häuser starben aus, weil kein Pfleger da war«. Die Zustände in Athen müssen grauenhaft gewesen sein. Thukydides schreibt: »Zu all ihrer Not brachte sie das Zusammenströmen der Leute vom Land in die Stadt in noch größere Bedrängnis, vor allem die Neuankömmlinge. […] Tote und Sterbende lagen übereinander, halb tot wälzten sie sich auf den Straßen und bei allen Brunnen, in wildem Verlangen nach Wasser. Die Tempel, in denen sie hausten, lagen voller Leichen der dort Verstorbenen« [Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, II, 52 (1-3)]. Um das große Aufkommen an Toten zu bewältigen, verbrannte man die Leichen auf Scheiterhaufen. Und wie es in Katastrophengebieten oft geschieht, verfiel in Athen bald die Moral: Die Reichen gaben sich dem Genuss hin, und niemand scherte sich um Recht und Gesetz.
Anhand der von Thukydides beschriebenen Krankheitssymptome ist nicht zu entscheiden, ob es sich bei der Epidemie, die in Athen ausbrach, tatsächlich um eine der uns heute bekannten Formen der Pest handelte. Von einigen wird auch Typhus als eigentliche Ursache des damaligen Massensterbens angenommen. Die gesellschaftlichen Folgen dieser Athener Seuche waren allerdings jenen, die der schwarze Tod nahezu 2000 Jahre später in Europa zeitigte, erschreckend ähnlich: Das Zusammenbrechen jeglicher Ordnung, die Verzweiflung der Angesteckten und die Aufgabe jeder Hoffnung, auch auf göttliche Hilfe, sollten sich in einer Weise wiederholen, die dazu führte, dass viele mittelalterliche Chroniken dem antiken Bericht des Thukydides nahezu wortwörtlich folgen.
Aus späteren Zeiten der Antike sind weitere Pestseuchen überliefert. Unter der Herrschaft des römischen Kaisers Marcus Aurelius (Ks. 121-180) etwa brach eine Pest aus, an der auch der Herrscher starb, und im Jahr 542 musste auch Konstantinopel die Auswirkungen einer großen Seuche erleben, die als Justinianische Pest in die Annalen einging. Kaiser Justinian, der selbst erkrankt war, aber überlebt hatte und nach dem die Seuche benannt wurde, erklärte die Epidemie zwar im Jahr 544 für beendet, dennoch trat sie bis zum Jahr 770 in einem etwa zwölfjährigen Rhythmus immer wieder in Erscheinung, bevor sie für über fünf Jahrhunderte verschwand.
In den Jahren 545 und 546 hatte die Justinianische Pest Gallien und Germanien erreicht. Von ihren Auswirkungen berichtet der Geschichtsschreiber Paulus Diaconus: »Zu dieser Zeit brach besonders in der Provinz Liguria eine fürchterliche Pest aus. Denn plötzlich kamen an Häusern, Türen, Gefäßen, Kleidern eigentümliche Flecken zum Vorschein und wurden, wenn man sie abwaschen wollte, immer stärker. Nach Verlauf eines Jahres aber entstanden an den Leisten der Menschen und an andern empfindlichen Stellen Geschwülste wie Nüsse oder Datteln, worauf bald unerträgliche Fieberhitze und am dritten Tag der Tod erfolgte. Überlebten sie aber den dritten Tag, so hatten sie Hoffnung durchzukommen.« In der Folge suchten die Menschen ihr Heil in der Flucht: »Weil unter dem Volk der Glaube verbreitet war, durch die Flucht entgehe man dem Verderben, wurden die Häuser von den Bewohnern verlassen« [Paulus Diaconus, II, 4]. Wie so oft hatte dies einen sittlichen Verfall zur Folge, Paulus Diaconus berichtet von nicht eingebrachten Ernten und
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