Treuepunkte
maues Argument?«, antwortet Karolina, »bei fünf Kindern kennt die sich mit dem Thema sicher besonders gut aus! Sehr viel mehr hat die wohl offensichtlich in den letzten Jahren nicht gemacht.« Nur weil man fünf Kinder hat, heißt das ja nicht, dass man sonst keine Hobbys hat. Aber Karolina wirkt richtiggehend beleidigt. Sie, die edle Kaschmir-Freundin von Giorgio, wird sitzen gelassen für ein Paar Doppel-D-Brüste. »Wir können doch mal rausgehen, dann wissen wir, was los ist!«, schlage ich zur Besänftigung vor. »Wie peinlich ist das denn!«, schüttelt sie angewidert den Kopf. »Ich renne dem doch nicht hinterher, die Zeiten sind definitiv vorbei.« Gerade als Karolina sich so richtig aufregen will, kommt Britta zurück an den Tisch. Wir beäugen
sie so unauffällig wie möglich. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie vorher auch. Kein verschmierter Lippenstift, keine derangierte Kleidung. »Na, was gab’s da draußen so Wichtiges?«, frage ich ganz harmlos. Britta grinst. »Luke hat mir ein bisschen was von sich gezeigt«, antwortet sie und schaut dabei auf Karolina. »Aha, was hat der denn Wichtiges zu zeigen?«, lasse ich nicht locker. Sie leckt sich die Lippen. Blitzschnell, wie ein kleiner Leguan. »Es war was Privates!«, schließt sie das Thema ab und kichert. Karolina guckt demonstrativ in eine andere Richtung. Sie hatte schon zu Schulzeiten große Probleme damit, gegen Britta zu verlieren. Auch nach dem kurzen Geplänkel mit Karolina in der zehnten Klasse ist Luke damals zurück zu Britta. Immer, wenn Britta mit dem Finger geschnipst hat, kam Luke angedackelt. Dass das heute noch unverändert so ist, ärgert Karolina offensichtlich sehr. Und da kommt auch Luke. Er setzt sich zwischen Britta und mich. Karolina tut desinteressiert und wendet sich mit vollem Elan dem Mann gegenüber zu. Es ist Ingmar. Seine Eltern waren Ski- und Schwedenfans und haben ihren Sohn nach einem schwedischen Skirennfahrer benannt. Ingmar Stenmark. Ingmar hat sich recht nett gemausert. Er war zu Schulzeiten einer wie ich. Unauffällig. Schon aus diesem Grund hat er mich damals nicht interessiert. Wenn man Typ »Graue Maus« ist, umgibt man sich ungern mit anderen grauen Mäusen. Man sucht das Schillernde, damit ein wenig Glanz auf die eigene Person fällt. Ingmar, soviel bekomme ich von der Unterhaltung mit Karolina mit, ist Banker. Er hat Volkswirtschaft studiert, promoviert und pendelt zwischen New York und Frankfurt. Wie aufregend! Weiter kann
ich dem Gespräch aber leider nicht folgen, denn Luke tätschelt mir den Arm. »Schnidt, was aus dir geworden ist. Mann oh Mann.« Ich bin ziemlich geschmeichelt. Ein Kompliment vom schönen Luke. Wahrscheinlich wäre ich schon ergriffen gewesen, wenn er nur gegrunzt hätte. »Wollen wir mal rausgehen?«, flüstert er mir ins Ohr. Mann, wie der rangeht! Hätte er mich das vor achtzehn Jahren gefragt, wäre ich direkt losgerannt. Aber auch heute Abend bin ich nicht abgeneigt. Ich meine, man kann ja durchaus mal mitgehen, das allein ist ja nicht sträflich. Und dann, wenn er loslegen will, werde ich, Andrea Schnidt, sagen: »Das hättest du dir früher überlegen sollen, Luke!« Dann werde ich ihn mit seinen überschüssigen Hormonen einfach vor diesem popeligen Bürgerhaus stehen lassen. Karolina und Ingmar tauschen Visitenkarten. Am liebsten würde ich über den Tisch rufen: »Ingmar, hast du noch eine für mich?« Ingmar sieht richtig schnuckelig aus. Hätte ich das mal früher erkannt. Er hat nichts Verwegenes oder Aufregendes, er sieht einfach nur gut aus. Freundlich und nett. Attribute, die die meisten Frauen an Männern wenig schätzen. Ich habe mittlerweile kapiert, dass diese Tugenden absolut unterschätzt werden. Nette Männer sind etwas Wunderbares. Nett heißt nicht automatisch langweilig. Und aufregend ist auch nicht per se was Gutes. Schließlich kommt aufregend von aufregen – und wer will sich schon ständig aufregen? Karolina scheint das auch bemerkt zu haben, denn sie fährt sich ständig mit den Fingern durch ihren Pferdeschwanz, dreht die Haare, zwinkert und gestikuliert wild. Jeder Körpersprachenexperte hätte seine helle Freude an ihr. Luke ist eindeutig vergessen. Karolina hat umgeschwenkt.
Jetzt hat Lukes Tätschelhand meinen Oberarm erreicht. »Hast du eigentlich einen Mann?«, fragt er leise. Seine Stimme ist betörend. Die Frage allerdings ein wenig ernüchternd. Was soll das? Muss er erst mal klären, wie seine Chancen stehen, bevor er mich vors
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