Treuepunkte
gedacht und
mich richtiggehend gefreut. Als sie sich wieder hingesetzt hat, starrte der gesamte Saal auf sie. Würde sie, den bestimmt mittlerweile ziemlich kalten Kaffee, noch trinken? Sie tat es. Drei Minuten später war das Kännchen leer. Jetzt hieß es abwarten. Aber nichts passierte. »Meine Güte, ist die zäh«, meinte Heiner und wunderte sich. Ihm war in der Hektik beim Eintröpfeln in das Kaffeekännchen der Deckel vom Abführmittel abgefallen und deshalb hatte die Flink locker die fünffache Dosis der vorgesehenen in ihrem Kaffee gehabt. Am nächsten Morgen fuhren wir mit dem Zug zurück. Die Flink musste häufig raus. »Der Klimawechsel scheint mir auf den Magen zu schlagen«, klagte sie. Immerhin. Es hatte gedauert, schien aber doch zu wirken. Die nächsten vier Tage fehlte sie in der Schule. Eigentlich sehr erfreulich, aber ab dem zweiten Tag bekam ich es mit der Angst zu tun. Es hieß, Frau Flink hätte erhebliche Magen-Darm-Probleme, vielleicht sogar die Ruhr. »Was, wenn sie stirbt?«, dachte ich und wusste, dass ich dann dran sein würde. Wegen Mittäterschaft, oder wie das heißt. Ohne mich hätte der Heiner keine Gelegenheit gehabt, ihr die Todestropfen in den Kaffee zu tun. Ich erkundigte mich mindestens dreimal im Sekretariat bei der Schulsekretärin Frau Mull nach der Flink. Ganz nebenbei. »Nichts Neues, es geht ihr weiter schlecht«, wurde mir jedes Mal gesagt. Dann war Wochenende. »Vielleicht mein letztes Wochenende in Freiheit«, sorgte ich mich und war absolut erleichtert, als die Flink am Montag drauf die Klasse wieder betrat. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so über Frau Flinks Erscheinen freuen würde. Sie war verwundert, dass niemand von uns ähnliche Probleme gehabt hatte.
»Magen-Darm-Infekt, ein heftiger. ›Ruhrartig‹, haben sie im Krankenhaus gesagt, kannten die gar nicht aus dem Bayerischen Wald. Den gibt es eher mal in exotischen Ländern«, hat sie uns nur kurz erklärt und dann mir gedankt. Vor versammelter Klasse. »Andrea, hätte ich nicht gedacht, dass du so um mich besorgt sein würdest. Danke für die Erkundigungen. Frau Mull aus dem Sekretariat hat mich darüber informiert. Erfreulich, Schnidt.« O nein! Jetzt hatte die mit einem Satz mein neues cooleres Image zerstört. Heiner rollte mit den Augen. Es ging ein leises Stöhnen durch die Klasse. »Schisser«, nannte Heiner mich in der darauf folgenden Pause. Vor allen.
Frau Flink starrt mich an. »Fräulein Andrea, hören Sie mir gar nicht zu?«, fragt sie leicht empört. »Äh, nein, also, also äh, ich habe gerade an unsere Klassenfahrt gedacht. Die schöne in den Bayerischen Wald.« Frau Flink überlegt. »Ja, ja, ich erinnere mich sehr gut, was hatte ich die Scheißerei danach. Unvorstellbar.« Die Flink sagt Scheißerei – es gibt im Leben immer wieder Überraschungen! »Haben Sie mir damals was in den Kaffee getan?«, lacht sie dann. O nee! Weiß die etwa Bescheid? Ich fürchte mich noch immer, obwohl sie mir rein theoretisch ja nichts mehr tun kann. Aber – zu früh aufgeregt. Frau Flink hat nur gewitzelt. Sie lacht. Wenn die wüsste! Vor allem wenn sie wüsste, dass die unauffällige Schnidt beteiligt war. Ha, die würde Augen machen. Aber diese hübsche kleine Überraschung hebe ich mir fürs nächste Jahrgangstreffen auf. Und Mett-Mischi knüpfe ich mir auch demnächst mal vor. Jetzt lasse ich ihn einfach hier bei der Flink sitzen, das ist letztlich Strafe genug.
Die Ersten gehen heim und ich habe, außer zur Begrüßung,
immer noch keine Zeit mit Luke verbracht. Langsam muss ich mich ranhalten. Ich nähere mich ganz zufällig dem Tisch des Helden. »Karolina, rutsch mal«, schiebe ich sie ein wenig zur Seite. »Wo ist Luke?«, frage ich sie, nachdem ich mich am Tisch umgesehen habe. »Der wollte Britta irgendwas Wichtiges zeigen!«, sagt sie leicht angesäuert, »die sind raus. Vors Bürgerhaus. Anscheinend war es was, was man hier vor den anderen nicht zeigen kann.« Was Wichtiges zeigen? Was soll das bloß sein? »Ja, was will der denn Britta zeigen?«, bohre ich bei Karolina nach. »Na, was wohl«, guckt sie mich an, als wäre ich die begriffsstutzigste Idiotin weit und breit. So wie Karolina mich anschaut, ahne ich langsam, was sie meint. Luke will da weitermachen, wo er damals bei Britta aufgehört hat. Die werden doch nicht beim Jahrgangstreffen vor dem Bürgerhaus eine schnelle Nummer schieben? »Ich bitte dich«, werfe ich ein, »Britta hat fünf Kinder!« »Was ist denn das für ein
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