Treuepunkte
meiner Schwester, welch eine Arbeit schon ein Hund macht. Außerdem gehören zu unserem Reihenhausgrundstück dummerweise auch keine Koppeln und Stallungen. Argumente, die eine Viertklässlerin nicht überzeugen. Selbstredend würde sie sich kümmern. Schon morgens, noch vor der Schule, das Pferd versorgen und täglich reiten und bürsten. Der Garten würde doch reichen, um das Pferd unterzustellen – findet sie. Schließlich hat Pippi Langstrumpf ihr Pferd auch im Garten stehen. Und die hat sogar noch einen Affen. Auf den würde Claudia großzügig verzichten. »Ich habe ja einen Bruder, das ist eigentlich fast dasselbe«, hat sie erklärt. Zum Glück sind Christoph und ich beim Pferdethema einer Meinung. Auch er will kein Pferd. Deshalb hat er neuerdings eine Pferdehaarallergie. Gegen eine Allergie gibt es kaum Argumente. Natürlich ist das nicht ehrlich und fair, aber wirkungsvoll. Ich kenne Familien, die sich damit erfolgreich seit Jahren vor jedem noch so
kleinen Haustier drücken. Claudia findet das mit der Allergie nicht so schlimm. »Mein Pferd steht ja nicht im Haus und Papa muss ja nicht hin«, argumentiert sie gar nicht mal schlecht und ganz clever hat sie dann noch hinzugefügt, »und Papa müsste nie mehr Rasenmähen, das Pferd würde das für ihn erledigen.« Trotzdem – bisher sind wir hart geblieben, obwohl sie an jedem Geburtstag und bei jedem Weihnachtsfest optimistisch in den Garten guckt, um das vermeintlich dort versteckte Pony zu entdecken.
»Ja wir gehen heute reiten«, sage ich und packe den Krempel zusammen. Eine Sache, die ich am Muttersein verabscheue. Diese Logistik. Dieses ewige Suchen. Wo sind die Turnschuhe, die Trinkflasche, der Helm, die Brotdose und die Regenjacke und der ganze andere Krempel, den man für die Kinder braucht? Ständig vergesse ich irgendwas oder kann es partout nicht finden. Ich bin mit meiner eigenen Handtasche an sich schon genug gefordert. Andauernd zu planen, wer braucht was, nervt. Dazu kommt die ewige Fahrerei. Kind eins mit Turnbeutel und Hallenschuhen in Halle XY abliefern, danach Kind zwei mit Ordner und selbst gebastelter Trommel zur musikalischen Früherziehung befördern, in dem entstandenen Zeitfenster schnell einkaufen und dann die richtigen Kinder am richtigen Ort termingerecht wieder abholen. Praktisch wäre ein Kindernavigationssystem. Am besten implantiert direkt nach der Geburt. So eine kleine Stimme im Ohr, die einem immer sagt, was als Nächstes ansteht und was dafür benötigt wird: »Biegen Sie links zur Halle ab, nehmen Sie den Turnbeutel und denken Sie an die ausgefüllten Turnierzettel.« Das Schlimme sind noch
nicht mal die regulären Termine, also die regelmäßigen, wie Kinderturnen oder Reiten. Eine wahre Last sind die sich daraus ergebenden zusätzlichen Verpflichtungen. Vereine lieben Turniere, Basare und Weihnachtsfeiern, die natürlich fast immer am Wochenende stattfinden. Gerne kurz nach Sonnenaufgang. Ausschlafen erledigt sich damit von selbst. Da müssen Tische aufgebaut, Kaffeemaschinen durch die Gegend geschleppt werden und nicht zu vergessen: die obligatorische Backarie am Vorabend der Veranstaltung. Sich davor zu drücken, geht kaum. Sofort gilt man als faul und unengagiert. Nein zu sagen zu Extraarbeit ist in Mütterkreisen eine Todsünde. Deshalb stimmt es auch nicht, dass Mütter heutzutage viel weniger zu tun haben als Mütter früher. Klar haben wir Waschmaschinen und Spülmaschinen (und ich bin wahrlich sehr sehr dankbar dafür und wenn die Erfinder noch leben würden, würde ich ihnen regelmäßig kleine Aufmerksamkeiten zukommen lassen!), aber was das an zeitlicher Erleichterung bringt, müssen wir anderweitig abarbeiten. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass meine Mutter mich ständig durch die Gegend gefahren hätte. Meine Freizeitaktivitäten waren meine – und nicht ihre. Und dass schon Kleinstkinder in Pekip-Gruppen oder Ähnliches gehen, ist mit Sicherheit eine Erfindung der Neuzeit. Natürlich ist das alles zum Besten der Kinder, aber ob es auch zum Besten der Mütter ist, wage ich dann doch zu bezweifeln.
Claudias Reittraining findet auf einem kleinen Reiterhof, etwa fünfundzwanzig Minuten von unserem Wohnort entfernt, statt. Die Unterrichtsstunde ist keine wirkliche Stunde, sondern dauert 45 Minuten, was bedeutet,
dass es sich nicht lohnt, zwischendrin nach Hause zu fahren. Das wiederum führt dazu, dass ich gemeinsam mit anderen Müttern auf dem Hof rumlungere, Belanglosigkeiten austausche,
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