Treuepunkte
garantiert in die matschigsten Pferdeäpfel weit und breit trete und ansonsten warte, bis die Kinder endlich wieder vom Pony steigen. Bei strahlendem Sonnenschein mag das ganz nett sein. Leider richtet sich die Großwetterlage aber nicht nach wartenden Müttern. Auch heute nicht. Es nieselt und Mark ist quengelig. Er langweilt sich. Ich mich auch. Leider habe ich niemanden, den ich anquengeln kann. Mütter sind eine Art Pufferzone. Ein Müllabladeplatz für Aggressionen, Streitereien, Weinerlichkeit, Jammer, Elend – kurz: ein Servicecenter für Bedürfnisse jeder Art.
Meistens versuche ich Mark schon deshalb an den Reitnachmittagen bei irgendeinem seiner Freunde zu parken. Der Nachteil: Im Gegenzug – die Mütterwelt besteht aus seligem Geben und Nehmen – bekomme ich dann regelmäßig einen seiner Freunde aufs Auge gedrückt. Das ist mit Sicherheit fair, aber anstrengend. »Versteh ich nicht«, sagt Christoph bei dem Thema gerne, »was soll denn da anstrengend sein? Zwei Kinder spielen doch schön zusammen und du hast Zeit für dich.« In der Theorie klingt das einleuchtend. In der Praxis zeigt es hingegen nur allzu deutlich, dass Christoph keine Ahnung hat. Zwei Kindergartenkinder sind kein Garant für einen friedlichen, gemütlichen Nachmittag. Im Gegenteil. Kinder heutzutage erwarten einen gewissen Service. Und das Servicepersonal heißt Mama. Von den profanen Grundleistungen wie Essen, Trinken und Po-abputzen mal ganz zu schweigen. Obwohl mir das schon reicht. Ich putze
nicht gerne fremden Kindern den Po ab. Aber davon mal abgesehen: Erst wollen sie draußen spielen. Also Schuhe, Jacken, Mützen und was sonst noch dazugehört anziehen, Bobby Car und Zubehör aus der Garage holen. Eine viertel Stunde später müssen sie dann allerdings unbedingt rein. Also alles wieder ausziehen. Nach einer Stunde gibt es spätestens den ersten Streit, weil das Gastkind sich dem Bestimmerkind mit Heimvorteil nicht dauerhaft beugen will. Nach zwei Stunden will mindestens ein Kind unbedingt Fernseh schauen oder eben mal die CarreraBahn aufbauen, was allein aber leider nicht geht. Also hockt sich Mutti, nachdem sie die blöde Bahn aus der hintersten Ecke im Keller geholt hat, auf den Boden und friemelt an der verbeulten Carrerabahn rum. Wenn die endlich steht, haben die Kinder sich längst, gelangweilt von den Aufbauarbeiten, der Playmobilritterburg zugewandt und jegliche Playmobilkleinteile im Kinderzimmer verteilt. Was wiederum gut ist, denn bei der Carrerabahn fehlt ein Auto. Wenn das Chaos auf dem Höhepunkt angelangt ist, die Kinder unters Playmobil noch gut zwei Pfund Lego gemischt haben, wird das Besuchskind abgeholt. Zurück bleiben ein grauenvoll aussehendes Kinderzimmer und eine genervte Mutter. Vielleicht liegt das alles aber auch nur an mir und ich habe die Kleinen einfach nicht im Griff.
Meistens gehen Mark und ich spazieren, während Claudia reitet. So kriegen wir in der Zeit wenigstens eine ordentliche Dröhnung Frischluft und ich entkomme dem obligatorischen Mütterplausch. Nicht, dass ich nicht gerne ein bisschen schwätze. Aber eigentlich am liebsten mit meinen Freundinnen. Die Frauen hier sind nicht meine
Freundinnen. Uns verbindet nur eins: Wir haben Töchter in einem ähnlichen Alter, die allesamt pferdenärrisch sind. Das bedeutet: Das Gesprächsthema ist vorgegeben. Es wird über Kinder geredet. Es könnte sogar gut sein, dass ein paar dieser Frauen nett sind. Manche wirken sympathisch. Manche könnten möglicherweise potenzielle Freundinnen sein. Aber es kommt leider selten so weit. Irgendwie kratzen wir alle nur an der Oberfläche. Man beäugt sich, tauscht ein paar Belanglosigkeiten aus und bestaunt die, ach so talentierten, Kinder. Und ich glaube, insgeheim finden es alle genauso langweilig wie ich. Aber das Schöne: Der Nachmittag geht rum. Und ich bin ausnahmsweise nicht in einen einzigen Pferdeapfel getreten. Ich hoffe, das ist ein gutes Omen.
Christoph kommt abends heim, als wäre nichts gewesen. Pünktlich zum Abendessen. Der hat Nerven. Verbringt eine Nacht aushäusig, meldet sich den ganzen Tag nicht und kommt dann einfach so nach Hause. Punkt sieben dreht sich der Schlüssel im Schloss und Christoph betritt das Haus. Keine Entschuldigung, kein riesiger Blumenstrauß – gar nichts. Nur Christoph, ganz so wie immer. Ich starre ihn erwartungsvoll an. Er starrt zurück, sagt kurz und knapp und ziemlich kühl »Hallo« und geht dann, ohne Kuss oder Umarmung, an mir vorbei zu den Kindern.
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