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Treuepunkte

Treuepunkte

Titel: Treuepunkte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Fröhlich
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Fotos hat Sabine gemacht. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass meine Sabine so dermaßen abgebrüht sein kann.
Sie reicht mir die Kamera und sagt nur: »Sei tapfer.« Ich atme hörbar ein und stelle mich den Fotos. Ja, Sabine hat Recht, sie sieht gut aus. Sehr gut – ehrlich gesagt –, aber – leise Freude keimt auf – nicht umwerfend. Dolle Haare, lang und dick und mahagonifarben. Groß, gut gekleidet, beige Hose, eng, aber nicht zu eng, weiße Bluse und dicker, bestimmt sackteurer, Gürtel. Die Schuhe kann ich leider nicht sehen – Sabine hat sie abgeschnitten. Aber so eine Frau trägt garantiert auch keine Birkenstocks. Der Gesamteindruck: So ein Businessfrauenlook, aber kein bisschen spießig. An manchen Frauen (wie an mir, zum Beispiel) sieht eine weiße Bluse irgendwie trutschig aus. Und dann gibt es Frauen wie Belle Michelle. An denen sieht so eine Bluse cool aus. Sexy, aber nicht ordinär. Lässig, aber angezogen. Ich weiß nicht wirklich, woran es liegt, aber ich glaube, das macht Klassefrauen aus. Sie können eine weiße Bluse tragen und sehen darin niemals spießig aus. Ich schaue auf das Foto und fange an, sogar Verständnis für meinen Mann zu haben. Wer könnte so einer widerstehen? Was hat sie bloß gemeint, als sie bei Sabine über persönliche Schwierigkeiten gesprochen hat? Will mich Christoph nicht sofort verlassen, verweigert er die Scheidung, oder stört es sie, dass er Kinder hat?
    Ich klicke weiter und welch eine Freude: auf dem zweiten Foto – einer Gesichtsnahaufnahme – kann ich tatsächlich einen winzig kleinen Makel erspähen. Ihre Zähne sind zu klein für ihren Mund. Also, ich weiß nicht, ob jemand anderes das auch so sehen würde, aber sie hat, meines Erachtens, zwar weiße, aber doch sehr kleine Zähne. Als hätte sie noch ihre ersten. Ja, das ist es! Sie sehen aus wie Milchzähne. Wie kleine Hamsterzähnchen.
Und wenn man das Lachen genau analysiert, sieht man auch, dass sie zuviel Zahnfleisch hat. Gut, ich gebe zu, das ist wirklich ziemlich pingelig. Als würde ich sie sezieren oder unterm Mikroskop begutachten. Eigentlich ist es sogar recht kleinkariert und albern. Aber: Diese Frau will augenscheinlich meinen Mann und da gelten andere Gesetze. »Hast du ihre Mäusezähnchen gesehen?«, giere ich nach Sabines Zustimmung. »Sie hat ein ähnliches Gebiss wie Doris Schröder-Köpf – die vom Gerhard Schröder.« »Ich weiß, wer die Schröder-Köpf ist«, sagt Sabine, »aber diese Michelle ist nun wirklich ein anderes Kaliber als die. Und was die Zähne betrifft, na ja, wenn die dich anlacht, achtest du, glaube ich, weniger auf die Zähne«, antwortet sie vorsichtig. Ich halte ihr die Kamera vor die Nase: »Bist du blind oder was?« Sie lenkt ein: »Ja, wenn man so genau drauf guckt, dann sind sie wohl ein bisschen klein. Aber bei einer wie der ist das fast niedlich. Und jetzt mal ehrlich, Andrea, du glaubst doch wohl selbst nicht, dass Kerle so was stört.«
    Sie verspricht mir, die Bilder zuzumailen, damit ich sie mir nochmal in aller Ruhe am Computer anschauen kann. Ich bedanke mich ein weiteres Mal, Sabine erwägt, in die Detektivbranche zu wechseln, wir verabschieden uns und ich mache mich auf den Weg, meine Kinder wieder einzusammeln.
     
    Die beiden hatten einen schönen Nachmittag, sind guter Stimmung und alles wäre geradezu himmlisch, wenn da nicht meine Haare wären. Die neue 227 -Euro- 80 -Pracht ist zusammengefallen und sieht irgendwie angefressen aus. So, als hätte Belle Michelle mit ihren Nagerzähnchen
mir die Spitzen abgekaut. Wie ärgerlich! Das Ganze hatte so viel versprechend angefangen. Sie sehen aus wie blondgestreifte Zuckerwatte nach einem Sturzregen. Da muss ich mir für mein Date heute Abend kopfmäßig was einfallen lassen. Immerhin fällt meiner Tochter auf, dass ich beim Friseur war. »Du hast wie Licht in deinen Haaren, gell!«, bemerkt sie. Ich bin gerührt. Vor allem, weil das eine so poetische Bemerkung ist, bis auf das hessische »gell« und die kleinen grammatikalischen Ungenauigkeiten. Licht in den Haaren! Schöner kann man Strähnen wohl nicht beschreiben. Ich werde mir das lichte Haar einfach zum Mäuseschwanz binden. Schließlich hat mich Helmuth auch so kennen gelernt und trotz fadem Haar wollte er ja ein Date mit mir. Leider boykottiert der neue Fransenschnitt den Pferdeschwanz. Die Haare sind definitiv zu kurz. An den Seiten hängt die Hälfte raus. Ich muss mir also für heute Abend ein neues Styling einfallen lassen. Aber noch

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