Treuepunkte
ist Zeit. Bevor ich anfangen kann, mich optisch aufzurüsten, muss erst die Babysitterfrage geklärt sein. Oder besser gesagt – der Babysitter zu Hause sein.
Auch heute nicht ein Anruf von Christoph. Entweder er ist schon beim Planen seines neuen Lebens oder so stinkebeleidigt, dass er mich schwitzen lassen will. Spätestens übermorgen muss er allerdings mit mir kommunizieren. Der Gedanke, wie ich am Empfangstresen stehe und er mich wohl oder übel seiner Belle Michelle vorstellen muss, ist herrlich. Ich mache den Kindern Abendessen und hoffe, dass Christoph bald hier aufläuft. Wie soll ich meinen Abend mit Helmuth planen, wenn ich nicht weiß, wann Christoph heimkommt? Apropos Helmuth? Wo bleibt sein Anruf? Lässt mich jetzt selbst ein Helmuth sitzen?
Endlich, das Telefon klingelt. Es ist weder Helmuth noch Christoph, sondern meine Mutter. Ob wir am Wochenende zum Grillen kommen wollen? Was mache ich denn jetzt? Ich beschließe, einigermaßen wahrheitsgemäß zu antworten. »Wir haben ein bisschen Streit, deshalb kann ich nicht garantieren, dass Christoph Lust hat mitzukommen.« Ein grober Fehler. Eine Mutter, wie meine, lässt sich nicht mit einer solchen Bemerkung abspeisen. »Wieso Streit? Was hast du denn gemacht?«, will sie sofort wissen. Das ist mal wieder typisch meine Mutter. »Was hast du denn gemacht?« Sollte eine Mutter nicht zu ihrer Tochter halten? Egal was passiert? Kann man nicht mal von der eigenen Mutter absolute Solidarität verlangen? »Ich habe gar nichts gemacht«, antworte ich und versuche, so ruhig wie möglich zu bleiben. Eigentlich würde ich am liebsten auflegen. »Man wird ja wohl mal fragen dürfen. Und wie du weißt, Andrea, von nichts kommt auch nichts«, zickt meine Mutter los. Als sie die nächste Tirade starten will, höre ich unsere Haustür aufgehen. »Ich muss aufhören, Mama, Christoph kommt heim«, beende ich das unsägliche Gespräch. »Bitte sehr, Andrea, ganz wie du meinst«, sagt sie nur und mit einem knappen »Tschüs dann« legt sie auf. Immerhin, die bin ich los.
Christoph betritt den Wohnraum. Er nickt mir zu. Wie ein Monarch der Untertanin. Der hat vielleicht Nerven. Eigentlich ist diese Situation nur zum Lachen. Lächerlich geradezu. Ich beweise Größe und sage: »Hallo.« Er ringt sich ebenfalls zu einem »Hallo« durch. Großzügig von ihm. Um den Hals hängt seine Streifengirlande, die
scheußliche Krawatte. Wenigstens etwas. »Neue Krawatte?«, frage ich so gleichgültig wie möglich. »Ja«, ist seine einsilbige Antwort. »Interessantes Modell«, starte ich eine Art Unterhaltung. »Finde ich auch«, sagt er und wechselt dann das Thema. »Wo sind eigentlich die Kinder?« »Schon oben, bettfertig«, antworte ich und verkneife mir eine weitere Frage nach der blöden Krawatte. »Ach, essen wir jetzt nicht mehr zusammen?«, brummt mein Noch-Ehemann, ehe er nach oben zu seinen Kindern geht. Perfektes Timing, denn mein Handy klingelt.
Das wird Helmuth sein. Ich warte, bis Christoph außer Hörweite ist, und nehme dann erst ab. »Also, ich dachte, wir gehen was essen«, legt Helmuth gleich los. »Fein. Einverstanden. Wann und wo?«, frage ich nur. »Ist dir gegen neun im Sirtaki an der Mainzer Landstraße recht?«, erkundigt sich mein Date. Sirtaki – das klingt verdammt nach einem griechischen Restaurant. Ich mag kein griechisches Essen, aber es geht ja weniger ums Essen als ums Ausgehen, also willige ich ein. Sirtaki in der Mainzer Landstraße. Nicht gerade eine Gegend, in der die In-Treffs der Stadt sind. Die Mainzer Landstraße ist eine riesige Straße, die in der Nähe des Hauptbahnhofs vorbeiläuft. Aber bitte. Als Einstieg ins Dating-Business soll mir dieses Sirtaki recht sein. Außerdem – ich kenne mich mit In-Treffs auch nicht mehr wirklich aus und vielleicht ist das Sirtaki ja ein wahrer Geheimtipp. »Okay, einverstanden«, sage ich und er scheint sich zu freuen.
Jetzt muss ich nur noch Christoph klarmachen, dass ich heute Abend ausgehe. Ich erspare ihm Details und sage nur: »Ich gehe heute Abend nochmal weg.« Er guckt
mich fragend an. Mit seinem Sagen-Sie-mir-was-Sacheist-Anwaltsblick: »Sie wissen, vor Gericht müssen Sie die Wahrheit sagen!« Jetzt nicht schwach werden, Andrea, ermahne ich mich still. Ich gucke zurück. Das kann ich genauso. Wenn er wissen will, wohin ich gehe, muss er schon direkt danach fragen. Aber das tut er nicht. Ist es ihm egal, oder ist er zu stolz, um nachzufragen? Auch zu meiner neuen Frisur kein Kommentar.
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