Treuepunkte
gegen sie?«, frage ich ziemlich kleinlaut. »Willst du eine ehrliche Antwort?«, fragt Sabine und ohne auf meine zu warten, sagt sie: »Nein. Also optisch, ohne plastische Chirurgie – nein. Und das würde wenn auch echt teuer.« Sie schaut mich an und sagt dann noch: »Sehr teuer.« Wie aufbauend. Meine zweitbeste Freundin (nach Heike) hätte ruhig ein wenig sanfter mit mir umgehen können. Ehrlichkeit ist eine feine Sache, vor allem, wenn sie einen nicht selbst betrifft. In meiner momentanen Verfassung hätte mir auch eine klitzekleine Notlüge gut getan. »Ich weiß, du hättest lieber was anderes gehört, aber soll ich dich so dreist anlügen?« Ich schüttle den Kopf. »Nein, ist schon gut«, gebe ich ihr die Absolution, »aber weiter. Was hat sie gesagt und vor allem: Was hast du gesagt?« »Also, das war ein bisschen schwierig«, lässt sich Sabine feiern und legt eine theatralische Pause ein. »Ich habe sie voll ausgetrickst. Bei ihrer Eitelkeit gepackt. Als ich in ihrem Büro war, habe ich zuerst gesagt, dass niemand von unserem Gespräch erfahren darf. Sie hat sofort zugestimmt. Wahrscheinlich hat sie an irgendeine dramatische Mafiageschichte gedacht. Zeugenschutzprogramm, Zementklötze an Füßen und so was. Dann habe ich gesagt, es
ginge um Fernsehen. Um eine neuartige, aufregende und spektakuläre Gerichtsshow. Und dann – Achtung, jetzt kommt der Knaller, Andrea – habe ich gesagt, wir hätten sie im Auge für die wichtige Rolle der Staatsanwältin. Ich habe behauptet, ich würde das Casting machen und es wäre alles noch irre geheim.« Ich bin geradezu sprachlos. Für so dermaßen ausgebufft hätte ich Sabine niemals gehalten. »Ist die etwa drauf reingefallen?« Sabine grinst breiter als es ein Garfield, selbst unter Drogen, könnte: »Und wie. Ich meine, ich will nicht angeben, aber ich glaube, ich war teuflisch gut in meiner Rolle als Agentin einer großen Produktion. Die hatte keinerlei Zweifel und war voll aus dem Häuschen und hat mir sogar gesagt, sie wäre in ihrem jetzigen Job gar nicht so glücklich und privat wäre auch alles schwierig. Ich habe mich aber nicht gewagt da nachzufragen. Wegen der privaten Situation. Ich meine vielleicht hat die dich gemeint? Stattdessen habe ich dann eine absolute Eingebung gehabt und – aufgepasst, Andrea – ein Foto gemacht. Ist das nicht genial! Wegen der Agentur. Die müssten sich auch nochmal von ihrem perfekten Aussehen überzeugen, habe ich geheuchelt.« »Zeig her, schnell«, fordere ich die neue Nummer eins im Spionagegeschäft auf, »ich will das verdammte Foto sehen.« »Warte bis wir an deinem Auto sind. Ich kann schlecht fahren und dabei die Kamera bedienen«, bremst Sabine meine Ungeduld. Wie spannend. Gleich werde ich das Antlitz meiner Rivalin sehen. »Hat die sich einfach so von dir fotografieren lassen, ohne weitere Nachfragen?« Das erstaunt mich an der Geschichte am allermeisten.
Sind Juristinnen nicht generell eher misstrauisch? Ich
hätte an solch einer Geschichte doch erhebliche Zweifel gehabt. Aber zweifeln Frauen wie Belle Michelle genauso wie Frauen meines Schlags? Eigentlich denke ich: ja – sie tun es. Tun wir Frauen das nicht alle? Ist das nicht quasi schon so etwas wie ein weibliches Geschlechtsmerkmal: an sich selbst zu zweifeln? Schön blöd von uns. Ich meine, in meinem Fall ist ein gewisser Selbstzweifel durchaus gerechtfertigt – aber dass selbst Belle Michelles noch zweifeln, ist schon fast grotesk. Jedenfalls dann, wenn Belle Michelle tatsächlich so umwerfend ist, wie Sabine und Christoph behaupten.
»Sie hat schon gefragt, wer denn das Foto genau braucht und wie es jetzt weitergeht, aber dann wurde sie von diesem Langner gerufen und dann ist eine gewisse Hektik ausgebrochen und sie hat gesagt: ›Machen Sie schnell das Foto.‹ Dann wollte sie eine Visitenkarte von mir. Das war ein etwas heikler Moment, aber ich habe ordentlich in der Handtasche gewühlt und dann gesagt: ›Wie peinlich, die habe ich doch glatt im Büro gelassen.‹ Ratzfatz habe ich Fotos gemacht und mich dann verabschiedet. ›Wir melden uns‹, habe ich gesagt, ›nächste Woche‹, und sie hat sehr erfreut ausgesehen.« »Du bist eine Heldin«, lobe ich meine Freundin, »und an dir ist wirklich eine Schauspielerin verloren gegangen.« Sie strahlt und sagt nur: »Gern geschehen. Für dich jederzeit. Hat riesig viel Spaß gemacht.«
Als wir endlich bei meinem Auto sind, ist der feierliche Kamera-Augenblick gekommen. Vier verschiedene
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