Treuepunkte
hat einen Jetzt-erst-recht-Blick drauf und sagt nur: »Gut. Dann ziehe ich mich halt aus. Auch wenn das bei Verabredungen normalerweise andersrum läuft. Erst das Essen und dann das Ausziehen. Aber bitte. Ich bin ja keine Spießerin.« Niemand antwortet, aber ich glaube, sie spricht sich sowieso nur selbst Mut zu. Ihr BH ist – wie ihr Top – pink. Mit Spitze. Und ihr Slip passt auch dazu. Nicht gerade
das, was man dezent nennt, aber durchaus hübsch. Jetzt bin nur noch ich übrig. Ich könnte noch gehen, was aber, bei meinen vorherigen Bemerkungen, natürlich doppelt peinlich wäre. Also beiße ich in den sauren Apfel und entledige mich meiner Kleidung. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass man im Schwimmbad ja auch nicht mehr anhat.
Mein BH ist ein klassisches Modell. Ein Push-up in Schwarz. Nichts, womit man immenses Aufsehen erregt, aber auch nichts, wofür man sich schämen muss. Leider habe ich keine passende Unterhose dazu an. Ich trage einen ziemlich normalen Baumwollschlüpfer, immerhin wenigstens keines meiner Bauch-weg-Höschen. Es ist eine Unterhose aus einem Set, das ich mir vor zwei Wochen aus sentimentalen Gründen gekauft habe. Eine Wochentagshose. Mit Aufschrift. Habe ich mir in Erinnerung an meine Schulzeit gekauft. Die sind anscheinend zurzeit wieder in und außerdem waren sie im Angebot. Und so stehe ich dann da: in schwarzem Push-up und weißem Schlüpfer mit Mittwochsaufdruck. Hätte schlimmer kommen können. Ich beschließe hier und jetzt, auf jeden Fall in den nächsten Tagen mal meine Wäsche auszusortieren. Man sieht ja, wie schnell es gehen kann und man in Unterwäsche dasteht.
Kai-Uwe verteilt Masken. Solche Larvenmasken, wie sie im Karneval getragen werden. »Macht die Sache aufregender«, erklärt er uns und brav setzen wir sie auf.
Wir beäugen uns gegenseitig und ich versuche, so wenig wie möglich einzuatmen, um den Bauch in einer einigermaßen akzeptablen Form zu präsentieren. Helmuth schaut weiterhin nur unter sich, gerade so, als wäre der
Fußboden eine wirkliche Attraktion. Wir deponieren unsere Sachen in den dafür vorgesehenen Spinden und betreten das Wohnzimmer, in dem etwa fünfzehn Erwachsene in Unterwäsche rumstehen. Ich erinnere mich an einen Satz, den mal eine Freundin über solche Clubs gesagt hat: »Alles kann – nichts muss.« Also kann ich mich auch beruhigen. Und aufs Essen freuen. Wenn ich jetzt nicht bald was bekomme, bin ich unterzuckert, und was dann passiert, möchte ich mir gar nicht ausmalen. Unterzuckert in einem Swinger-Club. Oder ist es ein Pärchenclub? Oder ist das das Gleiche? Insgesamt eine verdammt bizarre Situation. Ein Haufen entkleideter Menschen und an der Längsseite des Raums eine Theke, wie in einem Partykeller der siebziger Jahre.
Ronja kommt auf uns zu. Sie steht direkt unter einer Glitzer-Discokugel, die von der Decke hängt. Und das in einem Wohnzimmer mit Schrankwand! Ein, bis auf Kugel und Theke, völlig gewöhnliches Wohnzimmer. Eines, wie es auch meine Schwiegereltern Inge und Rudi haben. »Fein, dass ihr es geschafft habt. Auf der Theke steht das Büfett. Getränke bekommt ihr von mir. Nur harte Sachen kosten extra, aber du weißt ja Bescheid, Kai-Uwe.« Sieht ganz so aus, als würde Sabines Internet-Freund einen Großteil seiner Lebenszeit hier in diesem Etablissement verbringen.
»Ich esse was«, teile ich den anderen mit und gehe zur Theke. Endlich bekomme ich, wonach mir wirklich der Sinn steht. Bevor ich die Flatter mache, werde ich mir den Bauch vollschlagen und hoffen, dass mich währenddessen hier keiner erkennt. Aber wie sollte das auch gehen? Ich habe eine neue Frisur (zum Glück)
und außerdem eine Maske auf. Wer kennt mich schon in diesem Aufzug? Und wer würde mich hier vermuten? Keiner, hoffentlich. Ich kann mir auch keinen meiner Bekannten und Freunde in diesem Ambiente hier vorstellen. Das Büfett passt perfekt zur Schrankwand. Kein Sushi oder anderes Fingerfood, sondern eher Deftiges wie Frikadellen, Käsehäppchen und Brezeln. Auch gut. Hinter der Theke steht Ralf, der sich mir sofort vorstellt (er ist Ronjas Mann) und mehrfach betont, wie gerne er mir, nach dem Essen, mal persönlich den ersten Stock ihres kleinen Häuschens zeigen würde. »Eins nach dem anderen«, sage ich und lade mir meinen Teller ordentlich voll. Nach etwa zehn Minuten fühle ich mich gar nicht mehr so unwohl. Man gewöhnt sich ans Nacktsein und die Raumtemperatur ist dermaßen hoch, dass man sich in normaler Bekleidung wahrscheinlich
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