Treuepunkte
Offenbach? Jedenfalls nicht mit mir! Ich renne die Treppe ins erste Stockwerk hoch, um mir Sabine oder wenigstens den Schlüssel zu schnappen. Meine drei Begleiter können sich ja schlecht in Luft aufgelöst haben.
Ich stolpere in ein Matratzenlager und sehe in dem diffusen
Licht Dinge, die ich nicht sehen will. Das sieht hier aus wie in einem Karnickelstall. Alle auf- und untereinander. Ich rufe einmal zaghaft »Sabine«. Eine Stimme, allerdings nicht Sabines, ruft zurück: »Schneckscher, komm her, mir habe noch Platz!«, und ich renne die Treppe in Höchstgeschwindigkeit wieder runter.
Egal wie – ich fahre jetzt nach Hause. So gut kann nicht mal eine Frikadelle sein, dass ich so was ertrage. Ich betrete den Vorraum mit den Spinden und da sitzt Sabine. Nicht allein, sondern mit Helmuth, der auf sie einredet und ihre Hand hält. »Gott sei Dank«, sagen wir fast zeitgleich und ohne groß Worte zu verlieren, fallen wir uns in die Arme. Sabine schließt den Spind auf und wir sind innerhalb weniger Minuten komplett angezogen. »Nehmt ihr mich mit?«, fragt Helmuth und ich zögere. Hat er uns nicht hierher geschleppt? Sollte er nicht auf seinen Freund warten? Bevor ich antworten kann, sagt Sabine: »Klar, Helmuth. Schließlich hast du netterweise mit mir auf Andrea gewartet. Zieh dich schnell an. Nichts wie weg hier.«
Drei Minuten später stehen wir auf der Straße. Sabine ist die Erste, die anfängt zu lachen. Fast schon hysterisch. Helmuth und ich stimmen ein. Wir sind erleichtert, fühlen uns, wie der Hölle entronnen. Dabei – das muss ich ehrlich sagen – hat uns ja keiner was getan. »Wer nicht will, der muss nicht«, hat mir Ralf, der Thekenmann und Herrscher über die verdammt guten Frikadellen, zugeflüstert und er hat Recht behalten.
Obwohl es praktischer wäre, zuerst Helmuth heimzufahren, entscheidet sich Sabine dafür, mich als Erste abzuliefern.
Gibt’s da etwas, das ich wissen müsste? Bahnt sich da, zwischen Graugesicht und meiner zweitbesten Freundin, was an? Wäre ja eigentlich recht praktisch – zwei Fliegen mit einer Klappe sozusagen. Zwei Problemsingles, so genannte Schwervermittelbare, gleichzeitig vom Markt. Obwohl Sabine eigentlich was Besseres als Graugesicht-Helmuth verdient hat. Aber, wie schon erwähnt, hat sie einen Hang zu Männern, die, auf den ersten Blick jedenfalls, nicht viel hermachen.
Aber darum werde ich mich morgen kümmern. Jetzt heißt es, mich der häuslichen Wahrheit zu stellen. Ob Belle Michelle doch noch gekommen ist und wenn – was haben die zwei in meinem Haus und im Beisein meiner Kinder da wohl getrieben?
Alles ist dunkel, als ich aufschließe. Ich laufe auf Zehenspitzen durch den Flur und das Wohnzimmer. Erst in der Küche traue ich mich, Licht anzumachen. Es sieht gut aus. Fast besser, als wenn ich aufgeräumt hätte. Auf dem Herd liegt ein kleiner Zettel. »Danke für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.« Bissige Ironie oder netter Scherz? Im Endeffekt egal. Hauptsache, er hat klar Schiff gemacht.
Ich überprüfe die Spülmaschine. Wenn Belle Michelle hier gewesen ist, wird er ihr wohl ein Getränk angeboten haben. Christoph ist schließlich ein höflicher Mann, oder besser gesagt, er kann ein höflicher Mann sein. Nichts. Die Maschine ist leer. Ich begebe mich auf die Suche nach leeren Flaschen. Vielleicht war er schlau genug, die Gläser per Hand zu spülen, aber Leergut würde ihn dann doch noch verraten. Wieder nichts. Keine leeren Rotwein- oder Bierflaschen weit und breit. Trinken Frauen
wie Belle Michelle überhaupt Alkohol? Oder haben die zwei das gar nicht nötig und turteln schlicht bei Mineralwasser?
Nachdem ich die Küche gründlich inspiziert habe, nehme ich mir das Wohnzimmer vor. Auch hier ist alles makellos. Ich sollte öfters abends ausgehen. Christoph zeigt Qualitäten, die ich bisher an ihm nicht kannte. Wie sagt man so schön: Der Mann wächst mit der Aufgabe. Scheint was dran zu sein.
Ich schleiche mich ins Schlafzimmer und da liegt er. Der Mann. Er schläft. Und schnarcht. Also eigentlich alles wie immer. Ich ziehe mich aus und lege meine Klamotten zu seinen auf den Haufen. Hemd und Jackett hat er zum Lüften aufgehängt. Brav. Als ich sein Hemd auf dem Bügel zurechtziehe, steigt mir ein Duft in die Nase. Ein fremder Duft. Nicht schlecht, nicht muffig, aber eindeutig nicht Christophs Geruch. Wonach riecht dieses Hemd? Ich schnüffele daran rum, als wäre ich eine klebstoffsüchtige Sechzehnjährige, die dringend einen neuen
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