Treuepunkte
ja so friedfertige Naturen. Die, die alles verzeihen können und stets nur ans Wohl der Kinder denken.
»Ich habe einen mords Hunger, gab mal wieder kaum was zum Frühstück«, sind die ersten Sätze, die ich von meinem Mann hier an meinem neuen Arbeitsplatz höre. »Mal wieder nichts zum Frühstück!« Bevor ich mich darüber angemessen aufregen kann, steht er vor mir. Sein Mund klappt nach unten, was ihn nicht unbedingt attraktiver macht. Er trägt schon wieder diese bescheuerte längsgestreifte Krawatte. Hatte er die heute Morgen schon an? Nee. Ganz sicher nicht, das wäre mir mit Sicherheit
aufgefallen. »Andrea, was tust du da?«, ist seine erste Reaktion. »Ich halte euren Empfang besetzt und fordere Lösegeld«, gebe ich ihm zur Antwort. »Witzig«, sagt er nur. »Mal im Ernst, was soll das?« »Ich bin die Aushilfskraft, von der Zeitarbeit. Und wenn du ab und an mal fragen würdest, was ich so tue, wüsstest du das auch«, gebe ich ihm noch einen klitzekleinen Hieb mit. Ich weiß, die Bemerkung hat einen leicht beleidigten Unterton, aber ich schaffe es nicht, sie mir zu verkneifen. »Was ist mit den Kindern?«, ist seine zweite Frage. »Im Heim, wo sonst«, antworte ich patzig. Das läuft hier anders als erhofft. Ich dachte, wenn er mich sieht, wird er mir in die Arme fallen und sagen: »Ja, du bist es. Wie konnte ich nur so blind sein.« Oder so ähnlich. Die Heim-Bemerkung war eventuell ein bisschen krass. Obwohl Michelle ziemlich laut kichert – ich also immerhin einen Teilerfolg landen konnte. Also teile ich ihm mit, dass die Kinder natürlich genau da sind, wo sie immer um diese Zeit sind – im Kindergarten und in der Schule. Wo auch sonst, schließlich sind keine Ferien. »Und dann?«, fragt Christoph. »Dann hole ich den einen ab, die andere kommt zu Fuß nach Hause und alles läuft wie immer. Ich bin nur halbe Tage hier und heute kümmert sich deine Mutter ums Abholen«, beruhige ich den ach so engagierten Vater. »Immerhin«, gibt er Ruhe und wendet sich wieder seiner Belle Michelle zu. »Dann können wir ja los.« Sie zögert, wenigstens ihr scheint die Situation peinlich zu sein. Meinem Mann weniger. Er sagt nur: »Bis später dann. Wenn Anrufe kommen – ich werde ungefähr in eineinhalb Stunden wieder hier sein. Tschüs.« Belle Michelle wirft mir einen Blick zu, in den man tatsächlich
so etwas wie weibliches Mitgefühl reindeuten könnte, verabschiedet sich dann und sagt noch: »Wir haben die Handys dabei, falls was Dringendes sein sollte.« Keiner von beiden denkt daran, mich zu fragen, ob ich vielleicht mitkommen will. Nicht mal die Frage, ob sie mir etwas mitbringen können. Mein Mann behandelt mich wie Personal. Keine besonders schöne Erfahrung. Am liebsten würde ich hinterherrennen und ihn zur Rede stellen.
Aber ich lasse es. Das erledige ich lieber ohne Belle Michelle an seiner Seite. Stattdessen rufe ich Inge an, um sie zu bitten, noch ein wenig länger als ursprünglich geplant auf die Kinder aufzupassen. Ich will auf jeden Fall noch bei Klaras Sektempfang dabei sein. Ab heute hat Christoph jedenfalls innerhalb der Kanzlei kein so leichtes Spiel mehr mit seiner Miezi.
Inge ist begeistert. »Gern, Andrea, nur zu gern. Die könne aach hier schlafe, wenn de willst«, bietet sie mir sogar noch an. Ich lehne dankend ab. »Sah ja schlimm aus bei euch, gestärn«, sagt sie dann. Mir schwant da was. Diese herrliche Ordnung! Was für ein Muttersöhnchen. Von wegen toll geputzt! Das hat er vor Jahren schon mal gemacht. Mami angerufen und sie zum Aufräumen bestellt. Weil er selbst zu faul war! Wie hemmungslos und unverschämt. Dass Inge sich das gefallen lässt. Meine Mutter würde sich kaputtlachen. Allein über den Gedanken. Ich entschuldige mich bei Inge, bedanke mich mehrfach und lege auf.
Bis auf zwei Anrufe für Langner – einer davon ist schon wieder von seiner Frau – ist die Mittagspause sehr ruhig. Ich jage Post durch eine Stempelmaschine, keine besonders anspruchsvolle Tätigkeit, und denke nach. Über
mich, meinen Mann und das Leben an und für sich. Da muss was passieren. Heute Abend werde ich alles klären und endlich alles aus- und ansprechen. Zwischendrin eine SMS von Sabine: »Juhu – treffe mich mit Helmuth.« Es sei ihr gegönnt. Auch ich werde spätestens heute Abend wissen, woran ich bin.
Christoph und Belle Michelle kommen aus der Mittagspause zurück. »Können wir reden, heute Abend«, bitte ich meinen Mann. Er sieht mich an, hat einen unsicheren Blick und
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