Treuepunkte
aber übertrieben, Claudia.« Aber ich würde ihr für diese Äußerung am liebsten das Taschengeld erhöhen.
Als die drei das Haus verlassen haben, bleiben mir noch genau zwanzig Minuten, um mich für meinen ersten Arbeitstag in Schale zu werfen.
Zwischendrin piepst mein Handy. Helmuth mit einer seiner unzähligen SMS . Der entwickelt sich langsam zu einer absoluten Nervensäge. Er will die Telefonnummer von Sabine. Wie schnell der umschwenken kann. Eben noch wollte er meine Kinder adoptieren und sein restliches Leben mit mir verbringen und jetzt will er nur noch eins von mir: Sabines Nummer. Ich bin ein ganz klein bisschen beleidigt, nicht etwa, weil ich meine Zukunft gerne mit Helmuth verbringen möchte, sondern einfach nur, weil man gerne die erste Wahl ist. Insgeheim kann ich ihn natürlich verstehen. Wer will schon eine Frau mit Kindern und Ehemann, wenn man auch eine komplett ohne Altlasten bekommen kann? Ich schicke ihm Sabines Nummer, in der Hetze allerdings, ohne Sabine vorher zu fragen. Soll sie sehen, wie sie den wieder los wird oder was sie sonst mit ihm anstellt. Nach dem Ausflug gestern Abend mit ihrer grandiosen Interneteroberung Kai-Uwe habe ich schließlich noch einen gut. Und es sah ja auch
so aus, als wäre Sabine nicht wirklich abgeneigt, was Helmuths Avancen angeht. Sollen die zwei sehen, wie sie zurechtkommen, ich muss zur Arbeit.
Pünktlich, eine dreiviertel Stunde vor Arbeitsbeginn, verlasse ich das Haus. Ich trage, wie immer für offiziellere Anlässe und da gehört Arbeiten ja allemal dazu, meinen dunklen Hosenanzug. Darunter ein weißes T-Shirt. Und ich finde, wenn man bedenkt, wie hektisch die letzten Tage waren, dass ich wirklich gut aussehe. Okay – ich brauche etwa die dreifache Menge Aufhellpaste – so genannten Concealer – um die Augen herum, um nicht auszusehen wie eine schwer Nierenkranke. Und über die Frisur könnte man geteilter Meinung sein. Aber immerhin spart mir die Lufttrocken-Variante jede Menge Zeit, und Haare wie Belle Michelle kriege ich, egal bei welchem Arbeitsaufwand, sowieso nicht. Ich habe mich damit abgefunden. Wunder auf meinem Kopf sind nicht mehr zu erwarten. Ein gewisser Sinn für Realität macht das Leben doch leichter.
Ich fahre mit der S-Bahn in die Stadt. Wenn alles zufriedenstellend verläuft, kann ich vielleicht mit Christoph gemeinsam nach Hause fahren. Ich fühle mich ein bisschen wie beim Countdown eines Raketenstarts. Jetzt wird entschieden, wie alles weitergeht. Entweder es klappt oder alles ist hin. Konfrontation pur.
Ich betrete die Kanzlei sogar fünf Minuten zu früh. Perfekte S-Bahn-Anbindung. Ich kann nicht verstehen, dass Christoph die nicht nutzen will und darauf beharrt, mit dem Auto ins Büro zu fahren.
Ich bin nervös. Ausnahmsweise weniger wegen meines Mannes oder Belle Michelle, sondern wegen des Arbeitens. Werde ich zurechtkommen? Wird es Spaß machen? Beim wem muss ich mich überhaupt melden?
Am Empfang steht eine junge Frau, die ich nicht kenne. Die meisten von Christophs Kollegen und auch seinen Chef habe ich schon mal getroffen. »Ich bin Klara«, begrüßt sie mich, »und Sie, Sie sind meine Rettung.« Ich erinnere mich. Klara. Christoph hat sie mal erwähnt. Klara ist Azubi. Sie will Rechtsanwalts- und Notargehilfin werden. Schwerpunkt Insolvenzen. »Endlich kann ich hier weg«, freut sie sich und räumt direkt ihren Arbeitsplatz hinter dem Tresen. »Ich hole Doktor Langner, damit der Sie begrüßt und erklärt, was zu tun ist«, sagt sie und beruhigt mich auch gleich: »Ist aber alles ganz leicht.«
Doktor Langner ist überrascht, als er mich sieht. »Ja, Frau Schnidt, was machen Sie denn hier? Ich dachte, unsere Aushilfe von der Zeitarbeit wäre da«, dreht er sich fragend zu Klara um. Die zuckt mit den Schultern und wirkt ratlos. »Ja, also ich dachte, das hier ist die Aushilfe«, sagt sie. »Bin ich doch auch«, kläre ich die Lage. »Hallo, Doktor Langner, ich freue mich«, begrüße ich dann den Kanzleichef und schleime mich gleich ein bisschen ein: »Gut sehen Sie aus.« »Danke, danke, Frau Schnidt, so was aber auch«, lacht der daraufhin, »also Ihr Mann, der ist ja ein alter Fuchs, nicht ein Wort hat der mir gesagt.« »Konnte er auch nicht«, nehme ich Christoph in Schutz. »Es ist auch für ihn eine Überraschung und außerdem auch ein kleiner Zufall. Sagen Sie ihm noch nichts«, bitte ich Doktor Langner, »ich freue mich schon seit Tagen auf sein Gesicht, wenn er mich hier sieht.« Herr Langner
Weitere Kostenlose Bücher