Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
Auftrag. Ihre Worte hallten in meinen Ohren wie Kirchenglocken an einem Sonntagmorgen. War es tatsächlich schon so weit? Sollte das wirklich mein letzter Treuetest sein? Ein surrealer Gedanke.
»Weiß ich noch nicht«, entgegnete ich. »Ich habe morgen eine Besprechung mit der Auftraggeberin, einer gewissen Karen Howard. Sie wollte am Telefon nicht viel verraten. Na, man wird sehen.«
Tags darauf erhielt ich einen Anruf von meiner Mutter. Ich befand mich gerade auf dem Weg zu Karen Howard.
»Hast du kurz Zeit?«, tönte es honigsüß aus meinem Headset.
Ich warf einen Blick auf das Navigationsgerät. Noch ca. sieben Minuten bis zum Bestimmungsort.
»Ja, ein paar Minuten kann ich erübrigen«, sagte ich.
»Also. Ich hab nachgedacht …«
Oh-oh. Ich ahnte bereits, was jetzt kam. Wenn meine Mutter erst anfing »nachzudenken«, endete das in letzter Zeit regelmäßig mit einem hysterischen Anfall. Sie gab sich die Schuld für die zahlreichen Affären meines Vaters, bezweifelte, dass sie je wieder lieben können und vor allem, dass sie je wieder geliebt werden würde. Wenn meine Mutter ein Gespräch mit diesen Worten eröffnete, konnte ich mich auf etwas gefasst machen. Das würde heute bestimmt nicht anders sein.
»Worüber denn?«, erkundigte ich mich beiläufig und hoffte inständig, dass sie bloß in Erwägung zog, einem Fitnessclub beizutreten und nun von mir hören wollte, welcher der beste war. Heute sollte ein glücklicher Tag werden. Ich hatte einen Grund zum Feiern. Das Meeting mit meiner allerletzten Auftraggeberin stand bevor, und da wollte ich mir von Mom kein emotionales Gepäck aufhalsen lassen, so egoistisch das klingt.
»Über deinen Vater«, murmelte sie verlegen.
Ich hab’s doch geahnt.
Ich holte tief Luft. »Entschuldige, Mom, aber das ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Ich muss gleich zu einer Besprechung. Ich werde …«
»Ich finde, du solltest ihn anrufen«, unterbrach sie mich.
Ich musste mich verhört haben. »Was?«
»Dein Dad. Ich finde, du solltest ihn anrufen. Rede mit ihm. Versuch, wieder eine Beziehung zu ihm aufzubauen.«
Ich war dermaßen perplex, dass ich um ein Haar auf den Wagen vor mir aufgefahren wäre und abrupt auf die Bremse treten musste. »Warum sollte ich?«
»Weil du deine Wut jetzt lange genug mit dir herumgetragen hast und weil dir das nicht gut tut. Es ist an der Zeit, ihm zu verzeihen.«
»Verzeihen? Nach allem, was er getan hat?«
Sie schnaubte. »Dir hat er ja schließlich nichts getan, Liebes. Er liebt dich, und er vermisst dich. Es war nicht fair von dir, ihn einfach so aus deinem Leben auszuschließen. Er mag mir ein schlechter Ehemann gewesen sein, aber er ist immer noch dein Vater. Und er hat seine Sache immer gut gemacht.«
Ich konnte nicht fassen, was ich da hörte, noch dazu von meiner Mutter! Was war nur in sie gefahren, dass sie sich plötzlich auf seine Seite schlug? Hatte sie denn gar keine Selbstachtung?
»Mom, er hat dich verletzt«, sagte ich nachdrücklich. Ich musste versuchen, sie zu überzeugen, ohne ihr alle meine Motive darzulegen. »Und damit auch mich. Das ist für mich Grund genug, ihm weiter aus dem Weg zu gehen.«
»Jen«, erwiderte sie mahnend. »Das ist keine gesunde Einstellung. Du musst loslassen, verzeihen. Du willst doch nicht wie Julia enden, oder?«
»Was?« Wieso war plötzlich von meiner Halbschwester die Rede? Es ging hier um mich, meine Mutter und meinen Vater, nicht um seine Tochter aus erster Ehe. »Was hat Julia denn damit zu tun?«, blaffte ich sie an.
»Na, du weißt doch, wie sie ist«, erklärte sie sanft. »Verbittert und überfürsorglich. Und vor allem zornig und unglücklich, weil sie nicht gelernt hat, ihren Hass zu überwinden. Willst du wirklich so werden wie sie? Denn genau das passiert, wenn man an seinem Groll festhält.«
Julia? Zornig und unglücklich? Weshalb? Und gegen wen richtete sich ihr Hass? Gut, sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mich nicht leiden konnte, aber das war unter Halbgeschwistern ja nicht ungewöhnlich, und ich konnte es ihr wohl kaum verübeln. Ich war immerhin die Tochter der neuen Frau ihres Vaters. Wenn unser Vater irgendwann mit seiner nächsten Frau ein Kind zeugte, dann würde ich dieses Kind vermutlich auch nicht gleich ins Herz schließen. Vor allem, weil die neue Frau meines Vaters die Geliebte war, mit der er meine Mutter betrogen hatte. Und …
Oh … mein … Gott.
Ich hielt mit quietschenden Bremsen auf dem
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