Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
drückte mir das Telefon an die Lippen, als wollte ich das Gespräch geradewegs aus dem kleinen rosa Gerät saugen und für immer in den Tiefen meines Gehirns speichern.
Dann verstaute ich das Telefon in der Handtasche, öffnete die Autotür, stieg aus und marschierte feierlich zum Eingang in dem Bewusstsein, dass es das letzte Mal war. Alle paar Schritte hielt ich inne, um mir jede Minute dieses denkwürdigen kühlen Oktoberabends genauestens einzuprägen.
Karen Howards Haus war fast genauso schön wie sie selbst. Genauso gepflegt, auf Hochglanz poliert und mit exklusiven Accessoires ausgestattet wie sie.
Konzentration, Jen, sagte ich mir, während sie mich nervös ins Wohnzimmer führte. Ich musste nur noch diese eine Besprechung hinter mich bringen, und den Test, dann war ich frei.
Dann ging es auf nach Paris.
Ich rief meine Gedanken zur Ordnung, die schon wieder in den nächsten Tagtraum abzudriften drohten.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte Karen, während wir uns setzten.
»Gern geschehen. Erzählen Sie mir doch, weshalb Sie mich angerufen haben«, schlug ich vor, um unauffällig jeglichen Smalltalk zu umgehen und gleich zur Sache zu kommen.
»Nun«, begann sie. »Mein Mann …«
»Mr. Howard?«, folgerte ich und schickte mich an, den Namen zu notieren.
»Äh, nein, Howard ist mein Mädchenname. Ich weiß nicht genau, warum ich Ihnen am Telefon nicht meinen richtigen Namen gesagt habe. Ich schätze, ich … war einfach nervös und … für den Fall, dass …«
»Ich verstehe«, sagte ich rasch und strich den Namen wieder durch. »Das ist nicht ungewöhnlich. Viele Frauen handhaben das ähnlich.«
Ich musste mich richtiggehend zwingen, ruhig und gefasst zu bleiben. Mrs. Howard sollte sich auf keinen Fall von mir gehetzt fühlen. Sie brauchte ja nicht zu wissen, dass ich es kaum erwarten konnte, dieses Meeting hinter mich zu bringen. Das war in ihrer derzeitigen Verfassung bestimmt das Letzte, was sie hören wollte. Ich habe mit den Jahren gelernt, dass Frauen in ihrer Lage jedes noch so kleine Quäntchen Geduld und Aufmerksamkeit benötigen. Meist ist es just der Mangel an Aufmerksamkeit, der sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hat.
»Wie lautet dann der Name Ihres Mannes?«, fragte ich.
Karen schluckte. Rieb die Hände aneinander, verknotete die Finger auf dem Schoß, als würde es die ganze Prozedur noch realer machen, wenn sie ihn aussprach.
»Wir können natürlich auch später darauf zurückkommen«, beruhigte ich sie.
»Nein, nein«, wehrte sie ab. »Schon in Ordnung.« Sie verschränkte die Finger ineinander. »Der Name meines Ehemannes lautet Jamie … Jamie Richards.«
27
Wunden lecken
Ich begann geistesabwesend, den Namen niederzuschreiben, den mir Karen Howard genannt hatte. Beim ersten Buchstaben des Nachnamens erstarrte ich. »Jamie Richards?«, wiederholte ich in der festen Überzeugung, dass ich mich verhört hatte.
»Ganz recht.«
Mein Herz pochte plötzlich heftig. Nur mit Müh und Not schaffte ich es, ruhig und regelmäßig weiterzuatmen. Es gab doch bestimmt mehrere Männer namens Jamie Richards in L.A. Zweifellos. Es musste so sein.
Mein Lächeln geriet zur Grimasse, meine Lippen zuckten. »Was macht Mr. Richards beruflich?«, fragte ich fachmännisch. »Ist er im Baugewerbe? Mediziner? Jurist?« Die Spekulationen sprudelten unkontrollierbar aus meinem Mund wie Wasser aus einem Gartenschlauch, der plötzlich ein Eigenleben entwickelt, nachdem ihn jemand fallen lassen hat.
»Lieber Himmel, nein«, erwiderte Karen mit einem milden Lächeln. »Jamie hasst Juristen.«
Ich nickte bedächtig, starrte sie an, als würden wir uns mit Blicken duellieren, und wartete gespannt auf ihre nächsten Worte.
»Jamie ist Marketingberater.« Sie lehnte sich zurück, ihr Blick wanderte zur Decke. »Bei Calloway Consulting.«
Und da musste ich mich übergeben.
Nicht an Ort und Stelle, auf Jamie Richards feudalen ehelichen Burberry-Teppich, obwohl ich es passend gefunden hätte, ihm dieses kleine Präsent zu hinterlassen.
Stattdessen entschuldigte ich mich hastig, fragte, nein, verlangte, zu wissen, wo sich die Toilette befand, und rannte hinaus.
Dort übergab ich mich zweimal, spülte mir dann den Mund mit Wasser aus und starrte mich im Spiegel an. Ich war schneeweiß im Gesicht. Selbst meine normalerweise grünen Augen wirkten grau und leblos. Meine Lippen waren blass, obwohl ich, ehe ich aus dem Haus gegangen war, zwei Lagen Lippgloss aufgetragen
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