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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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sich heranlassen. Mit welchem Recht hatte Knobel den Platz der Verteidigung jetzt verlassen und war an den Richtertisch getreten?
    »Herr Frodeleit!« Stephan redete ihn wie einen Schüler an, der im Unterricht eingeschlafen war.
    »Gehen Sie zurück an Ihren Platz«, wies ihn Frodeleit an und fuchtelte mit den Armen.
    »Nicht ohne Ihre Antwort«, erwiderte Stephan.
    »Wir sind hier nicht im Gerichtssaal, Knobel«, schrie der Richter. »Wie blöd sind Sie denn? Reiten Sie nicht auf der bescheuerten Vernehmung zur Person herum, Knobel! Ich sagte bereits: Wir schenken uns die Vernehmung zur Person. Ich kenne Hubert Löffke doch. Soll ich so tun, als würde ich ihn nicht kennen? Soll ich fragen: Wann sind Sie geboren? Was arbeiten Sie? Was verdienen Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Unterhaltspflichten? Sie wissen doch, dass es auf so was hier überhaupt nicht ankommt. Was also soll die lächerliche Förmelei, Herr Knobel? Denken Sie sich einfach, die Vernehmung zur Person habe stattgefunden! Lässt das Ihre Fantasie nicht zu? Sind Sie so strukturiert, dass nur das Fakt ist, was Sie mit eigenen Augen gesehen haben?«
    »Das ist ein interessanter Aspekt«, warf Bromscheidt ein.
    »Sie geben mir doch recht, Herr Bromscheidt?« Frodeleit war sich sicher, dass sich Bromscheidts Gerechtigkeitsgefühl nicht an prozessualen Feinheiten stoßen würde. Bromscheidt wollte den Schuldspruch gegen Löffke, das klare, schnörkellose Ergebnis. Der Schuldspruch hatte Prangerwirkung. Urteile sollten klar sein. Der Tenor stand nicht umsonst am Anfang. Alles, was ihm nachfolgte, diente der Begründung des Urteils. Fast alle interessierten sich nur für den Tenor. Frodeleit genoss es, wenn er bedeutendere Verfahren führte und die Zuschauerränge im Saal gut gefüllt waren. Zur Urteilsverkündung schritt er aus dem Hinterzimmer hinter die Richterbank. Die Prozessbeteiligten und auch die Zuschauer erhoben sich von ihren Plätzen. Frodeleit wartete, bis alle standen. Er ließ den Blick durch den Saal schweifen, dann richtete er sich auf und stand mit aufrechter Haltung, wenn er die Urteilsformel verkündete. Er konnte sie ablesen, aber Frodeleit sprach lieber in freier Rede. Während der kurzen Zeit, in der er Strafmaß und Kostenlast des Angeklagten verkündete, erfasste er die Blicke des Angeklagten und seines Verteidigers, dann die des Staatsanwalts und der anwesenden Öffentlichkeit. Frodeleit nahm feinsinnig die Reaktion des Publikums auf, das zufriedene Raunen, wenn er mit dem Urteilsspruch die Volksseele befriedigt hatte, das unverständige Kopfschütteln des Verteidigers, der das Strafmaß für überzogen hielt, und das Nicken des Staatsanwaltes, der seinen Strafantrag bestätigt und manchmal sogar übertroffen sah. Dann bat Frodeleit alle im Saal Versammelten, sich zu setzen, und begann, das Urteil zu begründen. Er holte weit aus, beleuchtete die Tat in allen Facetten und sprach gern auch von der rechtsuntreuen Gesinnung der Angeklagten. Ein Urteil musste eine Marke setzen. Frodeleits Urteile sprachen stets eine deutliche Sprache.
    »Wie ist es mit den Tatsachen, die man nicht sehen kann?«, bohrte Bromscheidt nach.
    Stephan horchte auf. Die Fragestellung Bromscheidts schien nur auf den ersten Blick an das Gesagte anzuknüpfen. Doch die Frage drang tiefer: Es ging nicht um die Vernehmung zur Person, die Frodeleit als Förmelei abtat. Die Zielrichtung der Frage war eine andere. Welche? Stephan sah fragend zu Löffke, doch der zuckte nur mit den Schultern.
    »Was meinen Sie genau?«, fragte Stephan in die Hallenecke. »Ich möchte mir aus Sicht der Verteidigung ein Bild machen, wenn ich die richterliche Tätigkeit von Herrn Frodeleit beurteile.«
    Frodeleit war irritiert. Er merkte, dass Bromscheidt ihn dazu bringen wollte, sich zu positionieren. Er hatte das Verfahren so ausgerichtet, wie es Bromscheidt gefallen musste. Frodeleit war die ihm übertragene Aufgabe forsch angegangen. Er hatte Konsequenz bewiesen, sich Bromscheidt untergeordnet und zugleich in seiner Unterwerfung ein Quäntchen Eigenständigkeit bewahrt, ohne dass er Verantwortung übernehmen wollte.
    »Ich denke, der Verteidigung steht es nicht zu, den Richter zu bewerten«, sagte Frodeleit mit fester Stimme, doch es klang hilflos.
    »Beantworten Sie meine Frage«, bat Bromscheidt ruhig. »Wie erkennen Sie als Richter Gedanken und Gesinnungen, die sich nur im Kopf des Angeklagten abspielen und deshalb für Sie nicht sichtbar, gleichwohl aber Grundlage Ihrer

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