Tribunal
antwortete Dörthe und wandte sich ab.
Löffke wollte sie daran erinnern, dass er nur für ihr gemeinsames Leben schuftete. Er hätte Zahlen nennen können, die von seinem Einsatz zeugten. Es wären Zahlen gewesen, die ihre luxuriösen Urlaube finanzierten, die extravaganten Menüs in erlesenen Restaurants, die saftigen Raten, mit denen sie das Darlehen für das gemeinsame Haus abzahlten. Das waren die Zahlen ihres Lebens. Doch er nannte sie nicht. Es wäre nicht ehrlich gewesen, denn er wusste, dass er in erster Linie für sich und seine Selbstbestätigung arbeitete.
Stephan kehrte zurück. »Kommen Sie, Herr Löffke, Sie legen jetzt für Ihren Mandanten von damals Berufung ein …!«
»Wie meinen Sie das?«
Doch Stephan war bereits vor den Richtertisch getreten. »Ich bitte erneut, die Verhandlung zu unterbrechen und zwischendurch ein anderes Verfahren abzuhandeln. Meine Bitte ist sehr ungewöhnlich, das weiß ich, aber die Umstände erfordern es.«
Frodeleit lächelte unsicher. »Ich verstehe nicht recht, Herr Knobel.«
Stephan wandte sich der Ecke zu, in der das Mikrofon installiert war.
»Ich weiß nicht, ob Sie es verstehen konnten, Herr Bromscheidt. Ich möchte.«
»Ich habe verstanden«, kam es aus dem Lautsprecher. »Herr Frodeleit, entsprechen Sie diesem Wunsch!«
Frodeleit schnaufte. »Herr Knobel, bitte!«
Stephan trat zurück und schob Löffke nach vorn. »Legen Sie Berufung gegen das damalige Urteil ein, los!«
Löffke schaute sich irritiert um. Dörthe blieb unbewegt. Ihr Gesicht verriet keine Regung. Wie oft wirkte sie unbeteiligt! Aber Löffke hatte stets empfunden, dass sie zu ihm hielt. Dessen war er sich jetzt nicht mehr sicher. Marie Schwarz stand ihm seit jeher kritisch gegenüber. Er mochte Knobels attraktive junge Freundin nicht und umgekehrt schätzte sie ihn auch nicht. Mehrmals schon hatten sie nach Auflösung der festen Sitzordnung auf Kanzleifesten zusammengesessen im Vorsatz, miteinander ein paar Worte zu wechseln, was sie dann schließlich doch unterließen, weil sich die wechselseitige Abneigung unüberwindbar eingebrannt hatte. Stephan Knobel war und blieb für Löffke der beherrschende Rivale, auch oder gerade weil dieser stets in Deckung blieb. Jetzt war Knobel sogar sein Verteidiger. Und nun auf einmal vertraute Löffke ihm.
»Erinnerst du dich an den Fahrkartenfall, Achim?«, fragte Löffke ungelenk. »Es war ganz am Anfang unserer Berufszeit, kurz nach dem Referendariat. Du warst erst ein paar Monate Richter. Ich glaube, es war deine zweite Stelle in der Proberichterzeit. Du warst erst seit Kurzem als Einzelrichter tätig. Amtsgericht Dortmund, erinnerst du dich?«
»Was willst du, Hubert?«
»Der Schwarzfahrer im Linienbus«, fuhr Löffke fort.
»Der Schwarzfahrer? Hubert, du sprichst in Rätseln.« Frodeleit wurde ungeduldig und wie stets lief sein Gesicht mit wachsender Ungeduld rot an. In solchen Situationen pflegte er im Gerichtssaal die Zeugen anzuherrschen, strukturiert zu erzählen und sich verständlich auszudrücken oder zum Wesentlichen zu kommen. Unverständliche Sätze unterbrach er. Es war wie in den Prüfungen, die er abnahm.
Löffke rollte den damaligen Fall wieder auf, berichtete ungewohnt umständlich, erging sich in Details, deren Präsenz Stephan und Marie erstaunten. Löffke erinnerte daran, dass der Mandant zweimal in der selben Buslinie vom Kontrolleur gestellt wurde, und ihm fiel sogar die Nummer der Buslinie ein.
»Ja, und?«, fragte Frodeleit gereizt in dem Tonfall, den er anzuschlagen begann, wenn ein Einwurf des Angeklagten oder seines Verteidigers zweifelsfrei unbeachtlich war und nur dem Zweck zu dienen schien, zu verschleiern oder das Verfahren mit unnötigem Verhandlungsstoff aufzublähen.
»Der Mann hätte nicht verurteilt werden dürfen, Achim. Ich lege gegen das Urteil Berufung ein.«
»Eine Berufung nach fast 20 Jahren, das ist ja völlig lächerlich, Hubert.« Frodeleit gelang ein wieherndes Lachen.
»Sag mir, was du wirklich willst! Ich kenne den tollen Schwarzfahrerfall nicht, von dem du so anschaulich erzählst.« Er lachte wieder.
»Die Sache Büllesbach«, kam es aus dem Lautsprecher. »Bernd Büllesbach.«
Stephan beobachtete Frodeleit, dem der Name tatsächlich nichts zu bedeuten schien, dies jedoch nicht zu sagen wagte. Es braute sich etwas gegen ihn zusammen. Bromscheidt war in Wirklichkeit ein Herr Büllesbach, das war nun klar. Er hätte nicht verurteilt werden dürfen, meinte Löffke. Warum er dies jetzt
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