Tribunal
Verurteilung sind?«
»Sie meinen zum Beispiel den Vorsatz für eine Tat?«, setzte Stephan nach.
»Das ist es«, bestätigte Bromscheidt mit erleichtertem Seufzen.
Stephan drehte sich zu Löffke um. »Kennen Sie einen Fall, in dem diese Frage eine besondere Rolle gespielt hat?«
Löffke überlegte kurz, dann schüttelte er den Kopf.
»Um diese Frage«, fuhr Stephan fort, »geht es doch immer dann, wenn der Angeklagte behauptet, etwas nicht gewollt zu haben. Das heißt also: Wie bewertet der Richter zum Beispiel die Behauptung des Angeklagten, niemals vorgehabt zu haben, einen Menschen zu töten? In diesem Fall muss sich ein Richter doch ein Bild von den inneren Tatsachen machen.«
Stephan drehte sich zu Frodeleit um. »Erzählen Sie, wie Sie mit leugnenden Angeklagten umgehen, Herr Frodeleit!«, forderte er mit feindseligem Unterton. »Sie sagten doch, dass Sie die leugnenden Angeklagten erkennen.«
Frodeleit fühlte sich provoziert. Wie kam Knobel dazu, ihn so etwas zu fragen, und warum ließ Bromscheidt diese Frage überhaupt zu? Er blickte verstohlen zur Kamera, als könne er von dort ein Signal erwarten. Doch die Mikrofone und Lautsprecher lauerten still in der Ecke, und dahinter wartete Bromscheidt wie die Spinne im Netz. Warum half er ihm nicht? Knobels Frage war schließlich grundsätzlicher Art und gefährdete den Prozess. Wie wollte Frodeleit wissen, dass ihn die Angeklagten belügen? Meistens war die Lüge offensichtlich, etwa dann, wenn aus äußeren Umständen auf den Vorsatz geschlossen werden konnte. Wer eine geladene Waffe bei sich trug, konnte bei einem tödlichen Treffer nicht behaupten, nicht gewusst zu haben, dass die Waffe zum Töten geeignet gewesen sei. Trotzdem gab es natürlich Fälle, in denen der Vorsatz nicht so leicht nachweisbar war. Wie aber wollte Frodeleit den Vorsatz in diesen Fällen nachweisen? Frodeleit kannte die Ausreden der Angeklagten, die sich ständig wiederholten, als seien sie aus einem Ratgeberbuch abgeschrieben, in- und auswendig. Natürlich merkte er, dass die Angeklagten ihre Geschichten auswendig gelernt hatten, um sie auf seine Fragen hin mit unschuldigem Augenaufschlag präsentieren zu können. Die immergleichen Ausreden mussten zwangsläufig falsche Ausreden sein. Manche Angeklagten vermochten jedoch seinen bohrenden Nachfragen nicht standzuhalten. Frodeleit verwickelte sie unweigerlich in Widersprüche und wiederholte dieselbe Frage einige Minuten später in einem anderen Kontext, bis er sie schließlich der Lüge entlarvt hatte. Frodeleit arbeitete sich an diesen Lügnern regelrecht ab. Die Angeklagten hatten ihn herausgefordert und zur Höchstform auflaufen lassen und zugleich beleidigt, weil sie ihn für dumm verkaufen wollten. Daher riet an dieser Stelle der geschickte Verteidiger seinem Mandanten zu einem reumütigen Geständnis, um bei der Strafzumessung mit Frodeleits Wohlwollen rechnen zu dürfen.
»Sie ahnen, wohin die Reise geht, Herr Frodeleit?«, fragte Bromscheidt sanft und zwingend.
Frodeleit dachte angestrengt nach. Bromscheidt positionierte sich gegen ihn. Knobel nahm fein die Stimmungen auf und den Richter in die Pflicht. Die Richterbank wurde zur Anklagebank, ohne dass Frodeleit wusste, worauf Bromscheidt wirklich hinauswollte.
»Ich nehme Sie mit auf die Reise, Richter Frodeleit. Sie benötigen keinen Fahrschein dafür«, kam es klar durch den Lautsprecher.
»Herr Knobel?« Stephan drehte sich um.
Löffke zog ihn aufgeregt zu sich heran. »Kommen Sie her! Ich glaube, ich weiß, worum es geht.«
Frodeleit wurde noch unruhiger. »Sag mir, was los ist, Hubert«, rief er mit bebender Stimme.
»Mandatsgeheimnis«, fauchte Stephan knapp und drehte sich wieder zu Löffke um.
Stephan nahm ihn zur Seite und ging mit ihm in die andere Ecke der Kathedrale, diagonal der Abhöranlage gegenüber.
»Es geht um den Fahrschein«, flüsterte Löffke.
»Was heißt das?«
»Ich kann mich natürlich irren. Wir hatten vor vielen Jahren, es war kurz nach meinem Berufseinstieg, einen Mandanten, der wegen Leistungserschleichung angeklagt war. Ihm wurde vorgeworfen, zwei Mal kurz hintereinander ohne Fahrschein mit einem Linienbus gefahren zu sein.«
»Und in diesem Verfahren war Frodeleit der zuständige Richter?«
»Ja. Aber es wäre doch verrückt, wenn der damals Angeklagte wegen dieser Bagatelle zwei Jahrzehnte später zum Geiselnehmer wird. Wenn dieser Typ hinter Bromscheidt steckt, muss er wahnsinnig sein, oder nicht?«
»Aus unserer Sicht
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