Tribunal
sie sagen, dass sie auf eine geeignete Gelegenheit gewartet hätte, um ihrem Mann beizustehen und für ihn Partei zu ergreifen.
Frodeleit lächelte bitter. Er kannte doch seine Frau. Ihre Ehe musste noch keine Bewährungsprobe bestehen. Frodeleit dominierte ihre Beziehung, auch zu Hause blieb er der Richter. Verena hatte ihren Job im Reisebüro bis heute behalten und einen Kreis von Freundinnen gefunden, mit denen sie einen großen Teil ihrer Freizeit verbrachte. Mit Dörthe traf sie sich immer gesondert. Verena und Achim Frodeleit hatten sich in ihrer Ehe eingerichtet. Sie bewunderte ihn und seine Karriere, doch sie liebte ihn nicht mehr. Frodeleits Gefühle für Verena waren ebenfalls eingeschlafen. Ihre Ehe funktionierte nach außen, aber sie hatte ihre Substanz verloren. Es gab keine Gelegenheit mehr, in der sich ihre Ehe bewähren musste. Verena würde flüchten, wenn die Solidarität zu Achim sie mit nach unten reißen würde.
»Richter Frodeleit!«, dröhnte es fordernd aus dem Lautsprecher.
Frodeleit verharrte noch einen Augenblick, dann sprang er auf, rannte in den beleuchteten Stollen, in dem er sich mit den anderen in der letzten Nacht aufgehalten hatte, und schlug die Stahltür mit lautem, stählernem Knall hinter sich zu.
Dörthe schreckte auf. Löffke wollte ihm nachrennen, doch Stephan hielt ihn zurück.
»Geben Sie ihm Zeit!«, sagte er.
Es vergingen einige Minuten des Schweigens. Es war, als warteten sie auf Büllesbachs Anweisung, dessen geplanter Spielablauf zwar durcheinandergeraten war, der aber mit der Entwicklung zufrieden sein musste: Er hatte Frodeleit gestellt. Dennoch blieb die Frage nach seinem weiteren Plan.
Endlich öffnete sich langsam die Tür. Frodeleit blieb im Rahmen der stählernen Bunkertür stehen.
»Ich bin hier, Herr Büllesbach«, rief er mit eigentümlich gelöster und heller Stimme. Dann sammelte er sich. »Wir sind beide hier, Ihr Verteidiger und Ihr Richter. Ich werde mich nicht mehr hinter den Richtertisch setzen, Herr Büllesbach, und ich werde auch nicht mehr die Rolle spielen, die Sie mir zugedacht haben. Vielleicht fühlen Sie sich von Löffke und mir verraten. Ihr krankes Gehirn wird es vermutlich sogar so verstehen müssen. Aber Sie sind kein Opfer. Ihnen ist Recht widerfahren und kein Unrecht. – Schämen Sie sich nicht, Ihr Schauspiel an einem Ort zu inszenieren, der an das deutsche Unrechtssystem schlechthin erinnert? Wie können Sie es wagen, auch nur den Anflug einer Assoziation zur Diktatur des Dritten Reichs zu vermitteln und Ihre banale Geschichte in einen völlig unpassenden historischen Kontext zu stellen?«
Löffke lief zur Seite, so weit, bis ihn die Kamera nicht mehr erfassen konnte, und ruderte wild mit den Armen, um Frodeleit zu signalisieren, endlich ruhig zu sein. Doch Frodeleit redete weiter.
»Wir stellen uns auf eine Seite, Hubert. So war es damals und so ist es immer noch. Ich weiß doch, wie du über die Kriminellen denkst, die du nur halbherzig verteidigst, weil du weißt, dass sie zu verurteilen sind, und es dir gänzlich egal ist, ob sie nun eine höhere oder mildere Strafe bekommen.«
»Achim!«, schrie Löffke dazwischen.
»Nein, Hubert, ich sage es, wie es ist. Und du hast die Gelegenheit, dich dazu zu bekennen. Wann, wenn nicht jetzt, Hubert? Erinnere dich an die teuren Rotweine, die wir auf das Gesindel getrunken haben, das wir arbeitsteilig von der Straße geholt haben. Du hast nur zum Schein verteidigt und ich habe den Strafrahmen voll ausgeschöpft. Die Gesellschaft braucht uns, Hubert. Wir sind auf dem richtigen Weg. Sag es! Steh zu deinem Handeln!«
»Achim!«, schrie Löffke wieder.
Er war rot angelaufen und setzte gerade an, sich auf Frodeleit zu stürzen, als mit einem Schlag das Licht erlosch. Schlagartig waren die Halle und der Stollen in undurchdringliches Schwarz getaucht.
Verena kreischte auf; Stephan tastete nach Marie und fand sie nicht, obwohl sie nur einen Meter neben ihm stand.
»Was hat er jetzt vor?«, fragte Löffke in die Stille.
»Leise reden!«, wisperte Stephan.
Sie hielten inne und lauschten in das schwarze Schweigen. Verena wurde schwindelig. Überhaupt nichts sehen zu können, ließ die Sinne verrückt werden. Sie stand noch, aber sie schien das Gleichgewicht zu verlieren. Dörthe hyperventilierte. Verena taumelte und drückte die Hände gegen die Ohren. Wenn er jetzt den Pfeifton einschaltete, würden sie wie von einer Druckwelle getroffen. Irgendwo in der Nähe musste er an seinem
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