Tribunal
sagen. Denn entweder finden wir eine Antwort auf diese Frage oder die Kanzlei ist, wie Sie sagen, erledigt. Ich muss bekennen, dass ich nicht in Ihrer Haut stecken möchte, Löffke!«
Der Kontrahent saß angespannt vor Stephans Schreibtisch.
»Rauchen Sie nur. Der Qualm vergeht wieder.«
Doch Löffke griff wider Erwarten nicht zur Zigarette.
»Es gibt bei der Polizei ein Protokoll und das gilt«, beharrte er. »Es gibt nichts zu ergänzen und nichts zu berichtigen.«
»Es ist die Wahrheit des Protokolls, Herr Löffke, ich habe das verstanden. Und ich weiß, dass Sie und Frodeleit bis ins Detail den Geschehensablauf abgesprochen haben. Sie haben sich strategisch gut positioniert. Denn Sie wissen ebenso wie Frodeleit, worauf es bei der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage ankommt. Sie haben es natürlich vermieden, bis ins Detail deckungsgleiche Schilderungen abzugeben. Jeder Anfänger weiß, dass Menschen unterschiedlich wahrnehmen und dementsprechend unterschiedlich akzentuieren. Die Aussagen sind umso glaubhafter, wenn sie im Detail voneinander abweichen. Und das haben Sie und Frodeleit meisterlich umgesetzt. Ich habe mir Ihre Aussagen von der Polizei vorlesen lassen, nachdem ich selbst ausgesagt hatte. Sie stellen den Sachverhalt im Wesentlichen kongruent dar, aber Sie weichen in unbedeutenden Einzelheiten voneinander ab. Da, wo es spannend wird, nämlich an der Stelle, wo Sie Büllesbach aufspüren, beschränken Sie sich auf Schlaglichter, und das gelingt Ihnen vorzüglich, nicht zuletzt natürlich vor dem Hintergrund, dass das Licht der Taschenlampe auch nur Schlaglichter erlaubte. Wenn man Ihre Aussagen studiert, dann sind Sie irgendwann – Sie beide reden von plötzlich – auf Büllesbach getroffen, der Sie in Angriffshaltung erwartete. Wie soll das gehen, Herr Löffke? Mittlerweile wissen auch Sie, dass Büllesbach schwer krank war. Wahrscheinlicher wäre doch, dass Büllesbach nach dem Stromausfall geflüchtet wäre. Mit dem Ausfall seiner elektrischen Anlage, insbesondere der Lichtschranken, hatte er doch sein ganzes Droh- und Gewaltpotenzial verloren. Dieser arme Wicht soll also auf Sie gewartet haben, um Sie anzugreifen?«
»Sie waren nicht dabei«, erwiderte Löffke knapp.
»Dann kam es irgendwie zum Handgemenge«, fuhr Stephan fort. »Wesentlich und übereinstimmend in Ihren Aussagen ist, dass Frodeleits Taschenlampe zu Boden fiel.«
»So war es auch«, bekräftigte Löffke.
»Und dann trat und schlug man sich im Dunkeln«, folgerte Stephan.
»Sie wissen selbst, dass es dort unten pechschwarz ist, wenn Sie keine Lichtquelle haben«, sagte Löffke.
»Aber die Taschenlampe war doch nur zu Boden gefallen«, hielt ihm Stephan vor. »Auch wenn sie nur an die Wand oder wohin auch immer leuchtete: Es war entgegen Ihrer Angaben nicht ganz schwarz. Sie sahen doch etwas.«
»Sie waren nicht dabei«, wiederholte Löffke. »Und seien Sie froh, dass Sie nicht dabei waren. Sie urteilen vom grünen Tisch aus.«
Stephan lächelte. »Aber diese Art des Urteilens ist Ihnen doch nicht fremd. Sie kennen doch die Spruchpraxis des Herrn Frodeleit nur zu gut. – Wie leben Sie mit der Schuld, Herr Löffke? Ein Mensch ist ums Leben gekommen, weil er mit seinem Kopf heftig an einen scharfkantigen Stahlträger gestoßen ist. Wie kam es zu diesem massiven Stoß, Herr Löffke?«
»Ich wäre froh, wenn ich es selbst wüsste.« Löffke rang nach Luft. »Sie wissen doch, dass es heftige Schläge gab. Auch Achim und ich haben reichlich Hämatome.«
»Vielleicht haben Sie sich gegenseitig traktiert, um es nach einer Schlägerei aussehen zu lassen. Wer wen geschlagen oder getreten hat, lässt sich im Nachhinein doch gar nicht mehr feststellen. Geben Sie wenigstens zu, dass Ihnen Büllesbachs Tod nicht ungelegen kam. Er wusste zu viel.«
»Es ist nicht so, wie Sie glauben, Herr Knobel«, begehrte Löffke auf. »Es gab keine Absprachen. Wozu auch? – Im Übrigen geht es um Bagatelldelikte.«
»Merkwürdig, dass Frodeleit genau dasselbe sagt. Er hat Ihnen doch sicher davon berichtet, dass ich ihn im Gerichtsgebäude aufgesucht habe. Haben Sie Ihre Linie abgestimmt?«
Löffke errötete und schwieg.
»Sie schulden mir noch immer eine Antwort«, bohrte Stephan nach. »Wie gehen Sie mit der Schuld um?«
»Dass ein Mensch ums Leben gekommen ist, ist grauenhaft und wird immer in meiner Erinnerung bleiben. Aber Achim und ich haben keine rechtliche Verantwortung. Man hat das Verfahren zu Recht eingestellt. In dubio pro reo –
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