Tribunal
Waage zeigte. ›Die Akte muss noch schlanker werden‹ stand in der Sprechblase. Er hatte den Urheber nie ausfindig machen können.
»Wir sind Partner der Sozietät«, antwortete Stephan und wählte damit dieselben Worte, die Löffke zu benutzen pflegte, wenn er absolute Vertraulichkeit einforderte.
Löffke zögerte einen Augenblick, dann griff er in seine Anzuginnentasche und überreichte Stephan wortlos einen Brief.
Der Brief war adressiert an ›Kanzlei Hübenthal & Knobel – Herrn Rechtsanwalt Hubert Löffke persönlich/vertraulich‹.
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Löffke!
Der Tod meines Halbbruders wird, wie es aussieht, ungesühnt bleiben. Ich werde nicht beweisen können, dass sein Tod nicht die Verkettung unglücklicher Umstände ist, wie es die Polizei behauptet. Geht man also von dem offiziellen Ergebnis aus, werden Sie und Ihr Freund unbehelligt davonkommen. Frodeleit wird in Kürze zum Vorsitzenden ernannt werden. Ich fordere Sie auf, dies zu verhindern! Es ist nicht nur für mich und meine Familie, sondern gewiss auch für jeden Bürger, der auf Rechtsstaatlichkeit vertraut, unerträglich, dass Menschen wie Frodeleit ein hohes Richteramt bekleiden, ja, dass sie überhaupt Richter sein dürfen. So, wie Herr Frodeleit ein Schandfleck für die deutsche Justiz ist, sind Sie ein Schandfleck für die Anwaltschaft. Mein Halbbruder ist ein Opfer von Ihnen beiden geworden, aber er ist nur eines von vielen, und Ihre Opfer sind nicht nur diejenigen, die Sie als Mandanten betreuen (welch eigenartiges Wort in diesem Zusammenhang!) und über die Frodeleit gerichtet hat. Frodeleit und Sie haben unabhängig voneinander Menschen Schaden zugefügt. Jeder von Ihnen hat seine berufliche Stellung missbraucht und das Recht mit Füßen getreten, für das Sie sich einsetzen sollten. Es fällt leichter, Ihnen diese Missbräuche nachzuweisen als Frodeleit. Den Richter schützt seine Unabhängigkeit und seine Freiheit der Beweiswürdigung, die es ihm gestattet, auch unrichtige Urteile in eine äußerlich rechtmäßige Form zu kleiden. Auch Ihnen hätte mein Halbbruder längst nicht alle Machenschaften nachweisen können, die Ihr eigenes Berufsverständnis zu prägen scheinen. Sie sind durch und durch korrupt und ausnahmslos auf Ihren eigenen Vorteil bedacht. Eine Ihrer Spezialitäten sind unrechtmäßige Abrechnungen von Mandaten. Zumindest diese Verstöße hat mein Bruder nachweisen können und ich zähle nachfolgend ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige Namen von Mandanten auf, die Opfer Ihrer Machenschaften geworden sind: Hintermeier, Zobel, Flugo, Vierräter, Bansemir, Voßnacke.
Ich werde das von meinem Halbbruder hinterlassene Wissen an die Staatsanwaltschaft und an die Rechtsanwaltskammer weitergeben. Sie wissen, was Sie zu tun haben. Ihrem Kollegen Stephan Knobel habe ich vertraulich eine Kopie dieses Schreibens zukommen lassen. Er ist nach Überzeugung meines Halbbruders ein integrer und aufrichtiger Anwalt.
Britta Stein.
Stephan sah irritiert auf.
»Und? Haben Sie das Schreiben etwa nicht erhalten?«, fragte Löffke.
»Nein«, antwortete Stephan tonlos. »Ich hätte Sie doch sofort darauf angesprochen.«
»Sie erpresst mich, Knobel. Sie bringt die ganze Kanzlei in Gefahr.«
»In erster Linie sind Sie in Gefahr«, korrigierte Stephan. »Was hat es mit diesen Mandanten auf sich, die sie erwähnt? Und wie kommt sie an diese Namen?«
»Wenn ich das wüsste, wäre ich ein Stück weiter. Kann die Stein einen Zugriff auf unser PC-System haben?«
Stephan hob ratlos die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Sie wissen, wie wenig ich von diesen Dingen verstehe. Ist an den Vorwürfen denn etwas dran, Herr Löffke? Sie müssen jetzt ehrlich sein. Wir sind eine Kanzlei. Alle für einen, das sind doch Ihre eigenen Worte.«
Löffke verzog das Gesicht. Sicherlich benutzte er oft diese Redewendung, doch jetzt zwang sie ihn, sich zu offenbaren.
»Unterlaufen Ihnen nie Fehler bei den Abrechnungen?«, fragte er zurück.
»Fehler unterlaufen jedem. Aber hier geht es offensichtlich um Betrug.«
»Ich habe von dem Geld nichts«, verteidigte Löffke. »Es geht alles in den großen Topf. Sie wissen, wie viele hungrige Münder wir zu stopfen haben. Längst nicht jeder Anwalt bringt in unserem Laden das Geld ein, das er kostet.«
Löffke setzte sich vor Stephans Schreibtisch und schlug die Beine übereinander. Er sah seinen Kompagnon gespannt an. Für Löffke stand unzweifelhaft fest, dass er sich richtig
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