Tribunal
im Zweifel für den Angeklagten, diesen Leitspruch kennt doch jeder. In korrekter Anwendung dieses Satzes musste davon ausgegangen werden, dass unsere Version richtig ist. Und sie ist richtig, Herr Knobel, ich schwöre es.« Er schwitzte.
»In dubio pro reo ist ein Grundsatz, dessen Anwendung gerade auf Frodeleit wie Hohn erscheint. Warum ist Frodeleit eigentlich auf dem Rückzug noch einmal in den Stollen gegangen, in dem wir übernachtet haben?«
»Das ist er nicht«, widersprach Löffke.
»Aber so steht es im Protokoll«, log Stephan. »Ich erinnere mich genau.«
Löffke zögerte und sah Stephan lauernd ins Gesicht. »Sie bluffen, Knobel.«
Stephan schüttelte den Kopf.
»Doch, Sie bluffen«, lächelte Löffke entspannt. »Es steht nicht im Protokoll.«
»Sie sind in der Tat gut präpariert«, staunte Stephan. »Aber nur so können Sie sich retten: Jeder von Ihnen muss eisern bei der Version bleiben, die er zu Protokoll gegeben hat. Doch das wird Britta Stein und ihrem Ehemann nicht gefallen. Sie wird Sie köpfen. Denn Ihre Abrechnungsbetrügereien sind nachweisbar. Man muss nur Ihre Akten prüfen. Vermute ich richtig, dass die Namen, die Britta Stein genannt hat, nur die Spitze des Eisbergs sind?«
Löffke griff nun doch zur Zigarette. Das Feuerzeug schnippte. Er tat einen tiefen Zug, blies den Rauch durch die Nase und faltete ein Blatt Papier zu einem Aschenbecher.
»Es gibt noch mehr Akten, ja«, gab er zu. »Ich frage mich nur, wie die Stein an die Daten gekommen ist. Ich hätte wissen müssen, dass die Computer nicht sicher sind. Man hört ständig so was. Eigene Dummheit.«
»Auch hier sind Sie also eher Opfer als Täter«, schloss Stephan.
»Ich bin Realist, Knobel. Es geht um die Kanzlei. Ich sagte es bereits.«
»Wir werden allen betrogenen Mandanten das zu viel bezahlte Geld zurückerstatten«, entschied Stephan. »Sie werden die Mandanten anschreiben und mitteilen, dass Sie sich verrechnet haben.«
»Und dann? Sie glauben doch nicht, dass Sie damit die Halbschwester von Büllesbach zufriedenstellen. Außerdem betrifft es viele Mandate«, setzte Löffke kleinlaut hinzu.
»Sie sind ein Schwein«, stellte Stephan fest.
Löffke zog unbeirrt an seiner Zigarette. »Im Moment haben Sie Oberwasser, Knobel! Aber irgendwann geht es wieder andersherum – und dann wird es Ihnen leidtun, was Sie gerade gesagt haben.«
»Bringen Sie Frodeleit zu Fall und ich denke, Britta Stein wird zufrieden sein«, beharrte Stephan. »Die betrogenen Mandanten entschädigen wir, wie ich es gerade vorgeschlagen habe.«
»Sie sind wahnsinnig, Knobel«, entrüstete sich Löffke.
»Sie haben keine Wahl«, erwiderte Stephan ruhig. »Dass Ihnen und Frodeleit nicht nachgewiesen werden kann, ob und wie Sie Büllesbach malträtiert haben, werden wir nun genau umgekehrt nutzen.«
»Das heißt?« Löffke runzelte die Stirn.
»Sie werden Frodeleit bei der Staatsanwaltschaft der vorsätzlichen Tötung bezichtigen. Sie werden ihn anschuldigen und darstellen, wie er Büllesbachs Kopf mit aller Wucht gegen den Stahlträger geschlagen hat. Gehen Sie damit auch noch an die Presse! Beschuldigen Sie ihn öffentlich!«
Stephan redete sich in Fahrt. »Ja, Löffke, machen Sie es so! Verraten Sie dieses Schwein!«
»Und dann?«, schrie Löffke.
»Dann wird sich Frodeleit revanchieren und Sie anzeigen«, erklärte Stephan. »Er wird wahrscheinlich das Gleiche mit Ihnen machen! Die Staatsanwaltschaft wird die skandalöse Einstellung des Verfahrens zurücknehmen und neu ermitteln. Man wird ohnehin nicht das Gefühl los, dass sich der Umstand förderlich auf die schnelle Erledigung des Verfahrens ausgewirkt hat, dass ein vor der Beförderung zum Vorsitzenden stehender Richter und ein Rechtsanwalt aus einer angesehenen Kanzlei in diesen Fall verstrickt sind.«
»Soll heißen?«, brüllte Löffke.
»Soll heißen«, fuhr Stephan fort, »dass man, wenn sich tatsächlich der Fall nicht weiter aufklären lässt, in Bezug auf Frodeleit in dubio pro reo davon ausgehen wird, dass Sie Büllesbach getötet haben und in Bezug auf Sie in dubio pro reo annehmen muss, dass Frodeleit der Täter war, soweit Sie es nicht beide gemeinsam waren, aber das würde ja keiner von Ihnen behaupten. So kommen Sie beide wieder rechtlich davon, aber der Makel, dass Frodeleit ein Tötungsdelikt begangen haben könnte, wird ihn die Karriere kosten. Oder sind Sie anderer Meinung, Herr Löffke?«, fragte Stephan kalt lächelnd.
Löffkes rotes Gesicht glänzte.
Weitere Kostenlose Bücher