Tribunal
viel, Sie kennen doch den Spruch. Und im Übrigen wusste ich davon nichts. Es wäre Löffkes Sache gewesen, das vorzutragen.«
»Aber das ließ Ihre Absprache nicht zu«, hielt Stephan dagegen.
»Herr Knobel!« Frodeleit lächelte leutselig. »Ich behaupte eine unangefochtene Stellung in der Justiz. Meine Beförderung steht bevor. Die Karriere ist nicht erschlichen, sondern erarbeitet. Glauben Sie mir: Man kommt nicht so weit, wenn es irgendwo dunkle Flecken gäbe. Ich bete Ihnen, wenn Sie wollen, die Prozessordnung auswendig herunter. Ich liefere Ihnen aus dem Kopf die maßgebliche Rechtsprechung zur Auslegung aller relevanten Fragen. Dieses Gewicht gilt. Und dann kommt von der anderen Seite ein Büllesbach, ich nenne ihn einfach ein Nichts, und arbeitet ein Fällchen auf, das rund 20 Jahre zurückliegt. Allein daran sehen Sie, dass dieser Mensch krank sein muss. Für diese Kreatur setzen Sie sich gerade ein, Herr Knobel, und das, obwohl Sie selbst Opfer dieses Wahnsinnigen geworden sind.
Nehmen Sie es mir nicht übel: Aber Sie scheinen eine ganz spezifische Ausprägung Ihres Berufsstandes zu sein. Oder ist es Ihre Frau Schwarz, die bei Ihnen die Revolutionärin gibt?«
Er lächelte mit nachsichtiger Siegesgewissheit.»Wen wollen Sie mit dieser Geschichte denn locken, Herr Knobel? Die Justiz interessiert sich jedenfalls nicht dafür, das wissen Sie. Man hat das Ermittlungsverfahren gegen Löffke und mich nach gerade mal sechs Tagen Laufzeit eingestellt. Dabei sind, mit Verlaub, sechs Tage für so eine Geschichte schon viel zu lang. Ein Richter und ein Anwalt werden von einem Kriminellen gepeinigt. Glauben Sie, dass Sie einen aus der Justiz finden, der überhaupt ernsthaft den Gedanken fasst, dass wir die Täter sein könnten? Das ist schon rein theoretisch Unsinn, ganz abgesehen davon, dass der Vorwurf in der Sache völlig unbegründet ist. Und ganz nebenbei, verehrter Herr Knobel: Wir reden bei der damaligen Geschichte über ein Bagatelldelikt, einen juristischen Fliegenschiss.«
»Also ist die Gerechtigkeit in diesen Fällen auch nur eine Bagatelle? Wollen Sie das sagen, Herr Frodeleit?«
»Sie verstehen nicht, dass es wie immer im Leben auch hier um die Relationen geht.«
»Ich verstehe es zum Glück nicht«, bekannte Stephan. Er wandte sich der Tür zu. Es machte keinen Sinn, mit Frodeleit weiter zu reden. Er und Löffke würden sich auch weiterhin wechselseitig decken.
»Warten Sie!«, rief Frodeleit. Er strebte an Stephan vorbei, öffnete die Tür und sah zu beiden Seiten auf den Flur.
»Gehen Sie jetzt«, forderte er leise. »Es ist nicht gut, wenn man Anwälte in den Richterzimmern sieht. So etwas riecht schnell nach Mauschelei.«
»Ich freue mich, mit Ihnen noch nie beruflich zu tun gehabt zu haben, Herr Frodeleit!«, setzte Stephan nach.
»Ach wissen Sie, Herr Knobel, ich sehe das entspannt. Sie setzen sich für den Mandanten ein und ich spreche Recht. Wir haben doch beide unsere Rollen.«
Er reichte Stephan die Hand. »Nächsten Monat finden Sie mich drei Zimmer weiter.«
»Ich weiß, Herr Frodeleit! Sie bekommen noch ein Fenster dazu.«
8.
Eine knappe Woche später betrat Löffke Stephans Büro. Er hatte sich zuvor über das Haustelefon angemeldet und es eilig gemacht. Nachdem er eingetreten war, vergewisserte er sich, dass die Tür zum Sekretariat verschlossen war, das Diktiergerät unbenutzt auf dem Tisch lag und der Telefonhörer auf dem Gerät ruhte.
»Ich verlange von Ihnen über alles, was wir jetzt besprechen, absolutes Stillschweigen, Kollege Knobel. Sie waren im Bunker mein Anwalt. Sie sind es auch jetzt. Anwaltliche Schweigepflicht. Sind wir uns einig?«
»Selbstverständlich«, versicherte Stephan.
Löffkes Gesicht war schweißnass. Stephan merkte, dass er vor Erregung bebte. So wie jetzt sah er aus, wenn er in der Kanzlei etwas aufgedeckt hatte. Löffke galt als der Schnüffler, der akribisch alle Möglichkeiten nutzte, die Sekretariate und auch die angestellten Anwälte zu kontrollieren. In der Regel entging ihm weder jemand, der während der Arbeitszeit eine fachfremde Zeitung las, noch jemand, der seine Arbeitszeit mit Schiffe versenken im Internet vergeudete. Löffke wusste, dass in Zeiten sinkender Umsätze die Verwaltungsstruktur der Kanzlei verschlankt werden musste. Das Wort verschlanken nahm er indes nicht mehr in den Mund, seitdem im Intranet der Kanzlei eine Karikatur aufgetaucht war, die zeichnerisch gekonnt den dicken Löffke nackt mit einer dünnen Akte auf der
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