Tribunal
»Achim ist mein Freund«, bellte er. »Ich bezichtige ihn nicht einer Tötung, die er nicht begangen hat – und die auch ich nicht begangen habe. Was Sie einfach nicht wahrhaben wollen, Knobel: Es war ein Unglücksfall. Das ist die reine Wahrheit.«
»Selbst wenn es die Wahrheit sein sollte: Sie interessiert nicht. Insbesondere wird sie Britta Stein und ihren Ehemann Peter Stiezel nicht interessieren. Ihren Freund Frodeleit interessiert die Wahrheit oft genug auch nicht. Er verurteilt diejenigen, die er verurteilen will. Er ist einer der Juristen, die in jedem gesellschaftlichen und politischen System Karriere machen. Er ist ein willfähriger Technokrat. Er würde in einer Diktatur mit akribischer Wortwahl und feinsinniger Argumentation alle Unrechtsgesetze anwenden. Die Frodeleits sind die übelsten Systemdiener. In der Nachschau muss man sagen, dass Bromscheidts geplantes Projekt eines der sinnvollsten Projekte ist, die man sich für die Kulturhauptstadt vorstellen kann. Achim Frodeleit ist das Paradebeispiel eines skrupellosen Richters, der in der Ausstellung Justiz und Gewissen‹, würde es sie denn geben, einen zentralen Platz verdient hätte. Sie glauben gar nicht, wie ekelhaft ich diesen Typus finde, der ja leider kein Einzelfall ist. Die Frodeleits dieser Gesellschaft sind die wirklich Gefährlichen. Ein Frodeleit ist intelligent und wortgewandt. Er argumentiert scharfsinnig und widerspruchsfrei, trägt mit Würde seine Robe mit Samtbesatz und darunter das frisch gebügelte reinweiße Hemd – und natürlich den Langbinder. Das ist Ihr Freund, Herr Löffke! Und die Frauen pflegen jenseits der großen Männerfreundschaft ihren jour fixe, trinken Sekt, lesen Frauenzeitschriften und ergehen sich in dümmlichem Geschwätz. Ihre Dörthe ist eine wirklich nette Frau, Herr Löffke. Unten im Stollen hatte ich den Eindruck, dass Sie sich recht nahe waren. Aber wahrscheinlich war das nur das Resultat des Leidensdrucks. Da unten herrschte eine andere Wirklichkeit, jetzt ist wieder alles anders.«
»Sie vergreifen sich, Knobel!« schrie Löffke.
Stephan hatte registriert, dass hinter dem mattierten Glasfenster zu seinem Sekretariat jemand stand. Seine Sekretärin würde den schreienden Löffke hören, aber sie würde auch Stephans immer lauter werdenden Worte verstehen.
»Sie wissen, was Sie zu tun haben«, schloss Stephan. »Britta Stein wird Sie zur Strecke bringen, wenn Frodeleit nicht gestoppt wird. Da bin ich mir sicher.«
Löffke stand auf. Er drückte die Zigarettenkippe auf Stephans Schreibtisch aus. Der blaue Dunst waberte durch das Büro.
»Ich werde das Gefühl nicht los, Knobel, dass Sie in diese Geschichte verwickelt sind. Wenn das so ist, gnade Ihnen Gott.« Er sah Stephan durchdringend und mit blitzenden Augen an. In seinen Schläfen pochte der hohe Blutdruck.
»Es geht hier nur um Frodeleit und die Kanzlei«, antwortete Stephan ruhig. »Nach dieser Geschichte werden wir beide unser Verhältnis klären, Herr Löffke!«
9.
Peter Stiezel öffnete die Haustür. Er trug einen Bademantel.
»Ich hoffe, ihr habt die Schwimmsachen dabei«, begrüßte er die Gäste. Seit einigen Tagen duzten sie sich.
»Haben wir«, bestätigte Marie.
»Britta ist schon im Pool. Kommt!«
Peter ging voraus und sie gelangten über eine Wendeltreppe ein Stockwerk tiefer, passierten einen großzügigen Saunabereich und traten durch eine Glasschiebetür nach draußen.
»Hier drin sind kontinuierlich 36 Grad«, sagte Britta. Sie paddelte träge im Wasser.
Marie beugte sich vor und fühlte mit der Hand die Wassertemperatur. »Es ist wirklich warm«, staunte sie.
Sie gingen wieder ins Haus und entkleideten sich. Sie hatten die Badesachen schon zu Hause angezogen. Die wenigen Schritte bis zum Pool fröstelten sie, dann tauchten sie in das warme Wasser ein. Peter brachte noch eine gekühlte Flasche Champagner und vier Gläser ans Becken. Dann streifte er den Bademantel ab und sprang ins Wasser. Die Außentemperatur lag um den Gefrierpunkt, die Luft war feucht und schwer. Es war Anfang März. Der Winter wollte in diesem Jahr nicht enden. Sie schwammen in dem dampfenden Pool. Es war, als würde man in die umgebende Landschaft hineinschwimmen. Im Hintergrund rechts stand der dichte Nadelwald, links verloren sich die Felder, wölbten sich über sanfte Hügel und fielen dann ins Ruhrtal ab.
»Es ist ein Traum«, meinte Stephan und blickte versonnen in die Weite.
Peter füllte behutsam die Sektgläser.
»Bevor wir anstoßen,
Weitere Kostenlose Bücher