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Tricontium (German Edition)

Tricontium (German Edition)

Titel: Tricontium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Claußnitzer
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ausrechnete. »Da wir nun gerade von solchen Dingen sprechen … Weshalb seid Ihr hier?«
    Der Gedanke, dass der zerlumpte Strolch annehmen könnte, seinesgleichen vor sich zu haben, war Ardeija bis dahin noch nicht gekommen und behagte ihm nicht. »Fürst Asgrim hat mich herbringen lassen.«
    Ein spöttisches Lächeln kräuselte die Lippen des Diebs, doch er schwieg zu dieser erschöpfenden Erklärung; dafür meldete sich eine andere Stimme zu Wort: »Ja. Aber mein Vater möchte wissen, warum Asgrim Euch hat herbringen lassen.«
    War diese Belehrung auch geduldig und höflich, so verriet ihr Tonfall doch, dass der Sprecher nicht viel auf Ardeijas Verstand gab, zu Recht wohl, war doch das, was Ardeija im Halbdunkel für den achtlos beiseitegeworfenen Mantel seines Mitgefangenen gehalten hatte, in Wahrheit ein in eben diesen Mantel wie in eine Decke gehüllter kleiner Junge von fünf oder sechs Jahren. Es war bedauerlich, dass ein Blick auf den Dieb genügte, um zu sehen, was einmal aus ihm werden würde, denn trotz der unbestreitbaren Ähnlichkeit war der Junge mit seinen wachen Augen und weichen braunen Locken ein liebenswertes Kind, das sicher weder seinen Aufenthalt hier noch einen solchen Vater verdient hatte.
    Doch Ardeija verspürte nicht allein Mitgefühl. Etwas an dem ernsten Kindergesicht erschien ihm vertraut und doch unbekannt, als hätte er schon einmal jemanden gesehen, dem dieser Knabe glich.
    »Ich glaube, er ist noch müde«, bemerkte der Junge an seinen Vater gewandt, als Ardeija nach geraumer Zeit noch immer nichts erwidert hatte.
    »Vielleicht sind wir ihm auch nur zu neugierig«, entgegnete der Dieb leichthin in durchaus zutreffender Einschätzung der Lage. »Nimm es ihm nicht übel, Wulfin.«
    Ardeija sagte noch immer kein Wort, doch es war der Name, der ihm verriet, in welcher Richtung er zu suchen hatte, in den Tagen vor der Schlacht von Bocernae, in einem anderen Leben. Er sah den Dieb weit genauer an als zuvor und zwang sich, nicht die schwarze Augenklappe, die Bartstoppeln, das entehrende Brandmal oder die schäbigen Kleider zu beachten, sondern nur, was die Jahre und der Aufenthalt in Asgrims Kerker nicht gewandelt hatten. Er suchte nach einem Gesicht, das er kannte, einem jüngeren, unschuldigeren Gesicht als dem, aus dem sein Blick stumm erwidert wurde, bis er beiseitesah, um sein Gegenüber nicht Scham und Entsetzen in seinen Augen lesen zu lassen, in denen nur Freude hätte stehen sollen.
    »Ich kenne dich«, sagte er und es war keine Herablassung, die ihn die vertrauliche Anrede gebrauchen ließ, »vielmehr – wir kennen einander. Wulfila?«
    »Ja«, bestätigte der Dieb, der keiner hätte sein sollen, und zum ersten Mal schien etwas wie Wärme in seinem Lächeln zu liegen. »Ich war mir nur nicht sicher, ob du dich würdest erinnern wollen.«
    Ardeija ahnte, dass sein anfängliches Misstrauen ihm deutlicher anzumerken gewesen war, als er gehofft hatte. »Dein Sohn hat Recht; ich bin noch müde«, sagte er und setzte um der lauteren Ehrlichkeit willen hinzu: »Und du hast dich verändert in den letzten Jahren.«
    »Du nicht gar so sehr«, entgegnete Wulfila mit einem kleinen Auflachen. »Jedenfalls bist du noch ganz gut zu erkennen.«
    Eine unbehagliche Pause entstand, weniger ein Abwarten als ein beiderseitiges Eingeständnis, dass diese Begegnung nicht verlaufen war, wie sie hätte verlaufen sollen.
    »Du musst etwas trinken«, sagte Wulfila schließlich, »es ist wichtig, dass du genug zu trinken bekommst. Du hattest bisher zu wenig.«
    Er hatte sicher nur den Augenblick überbrücken wollen, doch die Mahnung gehörte nicht hierher, sondern zu jenem ersten Bocernae, und das Blut im Wasser, die Angst und die Schmerzen brandeten mit solcher Heftigkeit in die Gegenwart herüber, dass Ardeija dankbar für ein leises Klirren von Eisengliedern war, an dem er sich festhalten konnte, um nicht in einer Erinnerung, die schlimmer als der Brandhorst war, verloren zu gehen.
    Wulfins Augen waren unverwandt auf die Kette gerichtet, an die man seinen Vater gelegt hatte und die schwer genug wirkte, selbst den kurzen Weg zum Wasserkrug hinüber etwas unbequem zu machen.
    Ardeija fiel nichts Tröstendes ein, was er hätte sagen können, noch nicht einmal ein Scherz über die ganze unglückliche Lage, der den Jungen nicht noch weiter verstört hätte. »Du musst entschuldigen, dass ich deine Frage nicht gleich beantwortet habe«, begann er aufs Geratewohl, und tatsächlich sah Wulfin auf. »Doch es

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