Trieb: Paul Kalkbrenner ermittelt. Bd. 3 (Ein Paul-Kalkbrenner-Thriller) (German Edition)
Straße erwischen, bringen sie dich in ein Heim.«
Tabori war schockiert. »Du meinst, sie haben Florim in ein Heim gesteckt?«
»Nein, meistens setzen sie solche wie uns einfach in den nächsten Zug nach Hause.«
Erleichtert atmete Tabori auf. In dem Fall war es zwar schade, dass Florim die lange Reise nach Berlin umsonst angetreten hatte, aber ihn wohlbehalten in Gracen zu wissen war allemal besser, als befürchten zu müssen, man habe ihn in ein Heim oder sogar ins Gefängnis gesteckt.
Aidan bestellte und belud ein Tablett mit Hamburgern, Cheeseburgern, Pommes, die in Pappschachteln serviert wurden, und zwei Plastikbechern mit Cola. An einem der Fenstertische fanden sie freie Plätze.
Ohne den Panoramablick zu beachten, machte sich Tabori über die Burger und die Pommes her. Sie schmeckten salzig und fettig, aber trotzdem irgendwie wunderbar. Schon nach der Hälfte war er satt. Die Cola rumorte in seinem Bauch, prickelte in seiner Nase. Dann entlud sich die Kohlensäure in einem lauten Rülpser.
»Wie lange hast du nichts mehr gegessen?« Aidan betrachtete ihn erheitert.
»Seit gestern Morgen.«
»Bei deinem Hunger hätte ich eher auf eine Woche getippt.«
Tabori errötete verlegen.
»Und wie lange bist du schon in Berlin?«
»Seit gestern Abend.« Das Croissant zählte er nicht mit.
»Ist ziemlich blöd für dich, richtig? Die Leute verstehen einen nicht. Sie halten uns für Bettler. Deshalb hast du vorhin auch das Geld von dem Mann nicht angenommen, oder?«
»Ich will keine Almosen«, empörte sich Tabori.
»Sondern?«
Die Frage hing in der Luft. Tabori blickte aus dem Fenster. Draußen strahlte die Sonne, nicht eine Wolke war am Himmel zu entdecken. Doch die Eile, mit der die Menschen durch die Stadt hasteten, war genauso groß wie gestern. Es hatte den Anschein, als wären sie alle verzweifelt auf der Suche. Wonach, das wusste er nicht. »Ich will Arbeit«, sagte Tabori entschlossen.
»Ist nicht wirklich einfach, welche zu finden.« Aidan nippte an seiner Cola. »Ich kenne das. Als ich in Berlin ankam, war das nicht anders. Aber jetzt hat sich das gelegt.«
»Wie lange bist du schon hier?«
»Ein Jahr oder so.«
»Und wie alt bist du?«
»Vierzehn. Glaube ich.«
»Du glaubst?«
»Mein Vater hat mir nie gesagt, wann ich geboren bin.«
Tabori konnte kaum glauben, was Aidan da sagte. »Warum nicht?«
»Weil er blöd ist.«
»So darfst du nicht reden. Er ist immerhin dein Vater!«
»Trotzdem ist er blöd.«
Taboris Staunen wuchs. »Du weißt also nicht, wann du Geburtstag hast?«
»Du etwa?«
»Ja, am nächsten Sonntag«, erklärte Tabori.
»Und? Kriegst du was geschenkt?«
»Nein. Ich bin ja hier, und meine Mutter hätte sowieso kein Geld.«
»Siehst du. Also bringt es dir auch nichts, wenn du weißt, wann dein Geburtstag ist.«
Wehmütig schaute Tabori nach draußen, aber ihm war, als würde er durch das Fenster in seine Heimat sehen. Dort bekam er zu seinem Geburtstag zwar kein Geschenk, aber er wurde von seiner Mutter immer frühmorgens mit einem Lied auf den Lippen geweckt. Am Abend, wenn sie nach der Arbeit aus der Kirche kam, holte sie meist eine oder zwei Kerzen aus ihrer Tasche heraus, die der Pfarrer ihr überlassen hatte. Sie entzündete sie in der Stube, und dann saßen sie gemeinsam mit Mickael um den Tisch herum, aßen Brei und sangen Lieder, sodass Taboris Geburtstag eben doch zu einem ganz besonderen Tag wurde. Manchmal waren auch schon Ryon und Gentiana vorbeigekommen. Ryon hatte meistens ein kleines Geschenk dabei, einen Aufkleber, eine Figur oder einen Kieselstein, der wie ein Gesicht ausschaute, irgendetwas Unnützes, aber trotzdem ein Zeichen, dass er an Tabori gedacht hatte. Einmal hatte er sogar eine Flasche Cola mitgebracht. Mit dem Getränk hatten sie kurz vor dem Zubettgehen eine Rülpsolympiade veranstaltet, sehr zum Leidwesen von Taboris Mutter, die die Geräusche abscheulich fand. Aber zum Geburtstag ließ sie die Jungs immer gewähren.
»Wo wohl Ryon steckt?«, fragte Tabori.
»Vergiss endlich deinen Cousin.«
Tabori war entsetzt. »Warum sollte ich das?«
»Weil du ihn hier nur durch ein Wunder finden wirst.«
»Das hat Miro auch gesagt.«
»Den wolltest du auch vergessen.« Aidan ging mit seinem Rucksack zu den WCs. Als er nach kaum einer Minute wiederkehrte, fragte er: »Sollen wir?«
»Was hast du vor?«
»Arbeiten. Was dachtest du denn?«
25
Theodora Vissermann brachte Hauptkommissar Kalkbrenner in ein eine Etage tiefer liegendes Büro.
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