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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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vom Leib. Unter dem Strahl, der auf seinen Rücken pladderte, fragte er sich, auf wen er eigentlich so einen Groll verspürte. Auf die Maklerin? Seinen Übermieter Meier? Oder auf Dr. Salm, der ihm einen neuen Fall zugeteilt hatte? Oder auf den brutalen Kinderschänder?
    Wenn ich mir vorstelle
,
dass so etwas mit meinem Kind passiert.
Er wollte sich das gar nicht ausmalen. Es reichte ihm schon, dass er jeden Tag mit dem Tod von seiner Mutter rechnen musste. Auch deshalb war er wütend – auf sich selbst und seine Unfähigkeit, etwas gegen den schleichenden Verfall von Käthe Maria ausrichten zu können. Der Verstand, die Gesundheit, die Lebenskraft waren ihr zwar geraubt worden, aber es existierte kein Verbrecher, den er dafür zur Rechenschaft ziehen konnte. Es war der natürliche Zerfall, der jeden Menschen ereilte: das Alter. Immer das Gleiche: Wenn es um sein Privatleben ging, versagte er kläglich.
Aber halt
,
das stimmt ja nicht!
    Als er angekleidet mit zwei Tassen Kaffee ins Wohnzimmer trat, fand er seine Kollegin vor dem Ölbild stehend vor. »Bist du das?«
    »Ja, mit meiner Tochter auf dem Arm, kurz nach ihrer Geburt.«
    »Das ist ein schönes Bild. Wer hat es gemalt?«
    »Jessy.« Er betrachtete die Farben. »Es erinnert mich immer wieder daran, wie talentiert sie ist, wie vernünftig, zielstrebig, klug – und mittlerweile auch erwachsen. Es zeigt mir, dass ich als Vater nicht auf der ganzen Linie versagt habe.«
    Sein Handy sirrte. Es war Rita. Sie berichtete von einer Anruferin, die sich vor wenigen Minuten über die Soko-Hotline gemeldet hatte. »Sie arbeitet als Verkäuferin in einem Steglitzer
Saturn
-Markt, in dem sich Manuel wohl am Donnerstag aufgehalten hat, kurz bevor er verschwand.«
    Im Atelier über ihm rumpelte es. Bernie kläffte erbost. »Und das ist ihr erst heute Morgen eingefallen?«
    »Sie sagte, sie seit Freitag unterwegs gewesen. Discos, Berliner Nachtleben und so. Heute beim Frühstück habe sie dann die Fernsehnachrichten gesehen und Manuel erkannt.«
    »Und es ist auszuschließen, dass es sich dabei um eine Verwechslung handelt?«
    »Sie sagte, Manuel habe mit anderen Jugendlichen an den Konsolen
Street Soccer
gespielt
.
«
    »Danke, Rita, wir werden uns drum kümmern.« Er legte auf.
    Schon wieder rumste es. Kalkbrenner verdrehte leidend seine Augen.
    »Die Schiffertür?«, fragte Muth.
    »Die ich dem Hippie irgendwann noch um die Ohren hauen werde«, zischte Kalkbrenner. »Und der Hausverwaltung gleich mit!«
    »Klingt ziemlich laut, aber es gibt Schlimmeres«, lächelte Muth.
    Womit du nicht unrecht hast.
Kalkbrenner tätschelte dem fiependen Bernhardiner die Flanke. »Komm, Sera, lass uns fahren.«

109
    Eine Stimme drang an sein Ohr: »Schauen wir uns doch mal oben um.«
    Harald Sackowitz schrak aus dem Halbschlaf empor.
Sie haben mich gefunden!
Von einem zähen Widerstand wurde er zurück auf die verschimmelte Matratze gedrückt. Die Decke, in die er sich eingewickelt hatte, schlang sich wie eine übergroße Fessel um seinen Körper. Geknebelt und seinem Schicksal ausgeliefert durch eigenes Verschulden.
Verdammt!
    Doch es war nicht die Polizei, die das Schlafzimmer stürmte, sondern Kurt Hirschmann, der Eigentümer und Sackowitz’ Kollege beim
Kurier
. »Hardy? Was machst du denn hier?«
    Erleichtert blinzelte Sackowitz zum Fenster. Draußen war es hell. »Wie spät ist es?«
    »Hast du die Scheibe unten zerschlagen?«
    »Ja, aber wie spät haben wir es?«
    »Kurz vor elf.«
    »Was? Schon so spät?« Sackowitz befreite sich umständlich von der Decke. Erst jetzt nahm er Notiz von dem Pärchen, das hinter Hirschmann stand. Die junge Frau trug ein grelles Pepita-Kostüm, er hatte einen Zweireiher an, dessen Hosenaufschläge den Staub sammelten. Aus den Blicken der beiden sprach irgendetwas zwischen Erheiterung und Abscheu.
    »Was hast du hier zu suchen?«, fragte Hirschmann.
    »Ich habe geschlafen.«
    »Hast du wieder … gesoffen?«
    Warum fragte ihn eigentlich jeder nach seinen längst überwundenen Alkoholproblemen? Würde er dieses Stigma denn niemals loswerden? »So ein Blödsinn!«
    »Und warum pennst du dann nicht in deinem Haus?« Hirschmann ließ ihn nicht aus den Augen. »Da besitzt du einen Schlüssel und hättest keine Scheiben zu zerdeppern brauchen.«
    »Tut mir leid. Es ging nicht anders.«
    »Wie? Und mehr hast du mir dazu nicht zu sagen?«
    »Ich erklär’s dir ein andermal. Versprochen!« Sackowitz streckte sich. Seine Gelenke und Muskeln rebellierten

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