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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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schnell ein Ende fand.
    Frau Stephan fing sie im Innenhof ab. »Eenen schönen Sonntach och, Herr Kalkbrenner, jeht’s Ihnen jut?«
    Ungeachtet der zweistelligen Minustemperaturen trug die Hauswartin wieder ihren dünnen Kittel, unter dem der Saum eines Spitzenrocks hervorlugte. Wahrscheinlich sollten die weißen Tennissocken ihre Füße in den silbernen Pantöffelchen vor der Kälte schützen.
    »Guten Morgen«, grüßte er verschwitzt und außer Atem zurück. Von der Aussicht auf einen erzwungenen Schwatz war er nur wenig begeistert. Ohne stehen zu bleiben, ging er auf die Eingangstür des Hinterhauses zu und spürte, wie sich der enttäuschte Blick der alten Dame in seinen Rücken bohrte. Glücklicherweise trat in diesem Moment aus dem Nachbarhaus eine weitere Chance auf sonntäglichen Plausch. »Eenen schönen Sonntach och, Herr Meier, jeht’s Ihnen jut?«
    Kalkbrenner drehte sich um. »Sie sind Herr Meier?«
    »Der bin ich, und Sie?«, fragte ein hemdsärmeliger, langhaariger Mittvierziger in übergroßer Latzhose und mit Holzschuhen an den nackten Füßen.
    »Ich bin Paul Kalkbrenner. Ich habe die Wohnung unter Ihnen.«
    »Wie? Unter mir? Da wohnt doch Frau Stephan.«
    »Ich meine, unter Ihrer Dachterrasse«, präzisierte Kalkbrenner.
    »In der Dritten«, fügte Frau Stephan diensteifrig hinzu. »In der Wohnung von Herrn Stadlmeister.«
    »Das ist doch Ihre Dachterrasse, oder?«
    »Ja, die gehört mir.« Meier strich sich versonnen durch das lange Haar. »Aber wieso fragen Sie?«
    Auf Kalkbrenner wirkte das Achtundsechziger-Fossil nicht gerade sympathisch. »Die Maklerin hat mir nichts von einer Dachterrasse gesagt.«
    »Nicht? Hätte sie denn?«
    »Ja, hätte sie denn?«, wiederholte Frau Stephan.
    »Nun«, sagte Kalkbrenner. »Sie hat mir versprochen, dass es in meiner Wohnung ruhig ist.«
    »Ist es denn nicht?«
    »Nein, ist es nicht. Es ist laut.
Und zwar ziemlich laut.«
    »Warum?«
    »Warum?«, echote die Hauswartin.
    »Morgen!«, vernahm Kalkbrenner plötzlich eine weibliche Stimme aus der Durchfahrt zum Innenhof. Es war Sera Muth.
    Mit einem Kopfnicken bat er die Kollegin um etwas Geduld. »Das weiß ich auch nicht. Deshalb frage ich Sie: Was machen Sie auf Ihrer Dachterrasse?«
    »Ja, ich mache … Also, da ist mein Atelier.«
    »Ja, det Atelier. Hab ick schon jesacht«, warf Frau Stephan ein.
    »Und was kracht dort so?«, wollte Kalkbrenner wissen.
    »Es kracht?«
    »Ja, es rumst, sodass in meiner Wohnung alles wackelt.«
    »Is’ nich’ wahr?«, staunte Frau Stephan.
    »Dazu kann ich allerdings nichts sagen«, antwortete Meier.
    »Aber ich. Es klingt wie …«
Ja
,
wie klingt es eigentlich?
Was zum Teufel tat er hier überhaupt? Die Kälte kroch durch Kalkbrenners durchnässte Klamotten in seine Knochen, es drängte ihn unter die heiße Dusche, in frische Kleider, auf die Arbeit, zu den trauernden Eltern, einem ermordeten Kind.
Und du regst dich über Lärm auf …
»… wie eine Tür, die mit voller Wucht zugeschlagen wird.«
    »Ach so, ja, das ist die Schiffertür. Die habe ich mir ins Atelier bauen lassen, mit Bullauge und dem ganzen Kram. Die ist ziemlich massiv.« Meier kratzte sich an der Stirn. »Aber der Herr Stadlmeister hat sich nie darüber beschwert.«
    »Ach, wirklich?«, grollte Kalkbrenner mit erhobener Stimme, und seine beiden Nachbarn zuckten zurück. »Das ist auch kein Wunder, denn der Herr Fielmeister …«
    »Stadlmeister!«, korrigierte Muth lächelnd.
    »Herr Stadlmeister war als Geschäftsmann oft unterwegs. Er musste sich also auch nicht beschweren, weil er gar nichts davon mitbekommen hat.«
    »Hat er nicht?«
    »Nein. Leuchtet Ihnen das ein?«
    »Äh …«
    »Also, Herr Meier, um das hier endlich zu Ende zu bringen: Wäre es möglich, dass Sie Ihre Schiffertür in Zukunft etwas leiser schließen? Ginge das?«
    Zögerlich nickte der Hippie. »Ja, das ginge wahrscheinlich schon.«
    »Und könnten Sie auch bitte keine Holzschuhe mehr tragen, wenn Sie sich dort oben über mir aufhalten?«
    Meier schaute an sich hinab und legte die Stirn in erstaunte Falten, als entdeckte er zum ersten Mal die klobigen Schuhe an seinen Füßen. »Äh, ja, natürlich.«
    »Wunderbar«, befand Kalkbrenner. »Dann sind wir uns ja einig. Vielen Dank.«
    Auf der Treppe zu Kalkbrenners Wohnung wollte Muth wissen: »Was gibt’s denn?«
    »Ab sofort nur noch Ruhe.«
    Noch immer erzürnt setzte er türkischen Kaffee auf. Anschließend duschte er sich mit heißem Wasser den Schweiß und die Wut

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