Trieb
Monaten ihrer Zusammenarbeit hatte Kalkbrenner Muths zügige Arbeit, mehr aber noch ihre knappen und klaren Erklärungen zu schätzen gelernt. In denen unterschied sie sich gewaltig von Berger, der in Kollegenkreisen gerne mit Inspektor Columbo aus der gleichnamigen Fernsehserie verglichen wurde – er war zerstreut und redselig.
Muth schloss ihre Ausführungen mit einem Hinweis: »Das Zimmer wurde für eine Nacht von Peter Friedrichs gebucht, Frankfurter Allee 31 in 10123 Potsdam. Aber …«
»… in Potsdam gibt es keine Frankfurter Allee«, beendete Berger, der mit seiner Familie in der alten Residenzstadt lebte, die Schlussfolgerung. »Und die Postleitzahl stimmt auch nicht.«
»Demnach wird Peter Friedrichs vermutlich ebenso wenig existieren«, vermutete Kalkbrenner.
»Aber wie kann jemand unter falschem Namen überhaupt ein Hotelzimmer bekommen?«, fragte Berger ungläubig. »Ich dachte, in Zeiten wie diesen muss man beim Einchecken Personalausweis oder Reisepass vorlegen?«
»Klar, aber was, wenn die Dokumente gefälscht sind?«
»Oder der Rezeptionist bestochen?«, fügte Muth hinzu.
»Wie sieht es also aus? Hatte der Tote Papiere bei sich?«
»Nein«, bedauerte seine Kollegin. »Und auch keine Koffer, keine Taschen, kein Handy, nichts also, was Hinweise auf seine wahre Identität geben könnte.«
So viel also zum Thema Sicherheitsstandards.
»Wir sollten den Rezeptionisten ausfindig machen, der die Anmeldung des vermeintlichen Herrn Friedrichs vorgenommen hat«, schlug Kalkbrenner vor.
»Der Sicherheitschef wird ihm den Kopf abreißen«, warnte Berger.
»Aber vorher soll er ihn bitte noch bestätigen lassen, dass der Tote tatsächlich der Mann ist, der als Peter Friedrichs eingecheckt hat«, fuhr sein Kollege unbeeindruckt fort.
Berger zwirbelte sich nachdenklich seine Bartspitzen. »Wenn er es nicht ist, dann wird’s richtig kompliziert.«
Während Muth und Berger in die Hotellobby zurückkehrten, warf Kalkbrenner einen Blick in das Zimmer. Es war nicht das teuerste im
Adler
,
aber durchaus luxuriös. Vom gehobenen Ambiente nicht im Geringsten gestört, verrichteten Männer in weißen Ganzkörperoveralls hier bereits ihre Arbeit: Mit feinen Pinseln trugen sie Rußpulver auf glatte Flächen auf, nummerierten mögliche Spuren und fotografierten die Leiche. Der Tote lag von den Schüssen niedergestreckt auf dem blutgetränkten Teppichboden zwischen holzvertäfeltem Vorraum und eigentlichem Hotelzimmer. Das Doppelbett war noch unbenutzt.
Dr. Franziska Bodde, die Leiterin der kriminaltechnischen Abteilung, beratschlagte sich gerade mit einem ihrer Kollegen im Schutzanzug. Das letzte Aufeinandertreffen mit ihr hatte Kalkbrenner als eher angespannt in seiner Erinnerung abgespeichert. In einem kurzen Moment der Vertrautheit hatte sie private Probleme angedeutet, aber damit war sie damals freilich nicht die Einzige gewesen.
Und heute?
»Herr Kalkbrenner?« Die LKA-Beamtin bedachte ihn mit sorgenvoller Miene. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Danke, habe nur nachgedacht.«
»Über den Mord?«
»Worüber denn sonst?«
Dr. Bodde hatte ihr schulterlanges schwarzes Haar streng zum Zopf nach hinten gebunden. Ihre legere Kleidung, Jeans, Poloshirt und Sportschuhe, milderte den ernsten Eindruck, den ihr schmales Gesicht erweckte. »Es gibt keinerlei Anzeichen auf ein gewaltsames Eindringen. Das Opfer hat seinen Mörder entweder freiwillig hereingelassen oder das Zimmer gemeinsam mit dem Mörder betreten.«
Kalkbrenner betrachtete noch einmal grübelnd das Doppelbett. »Oder in Begleitung seiner Mörderin.«
Die Kriminaltechnikerin nickte, und eine widerspenstige Strähne löste sich aus ihrem Zopf. »Es kam erst im Zimmer zu Handgreiflichkeiten.«
»Handgreiflichkeiten?«, tönte Dr. Wittpfuhl, der, ebenfalls in raschelndem Ganzkörperanzug, jetzt in den Korridor trat. »Also, das kann ich so nicht bestätigen. Zumindest zur Stunde noch nicht.«
»Und was können Sie jetzt bestätigen?«
In aller Seelenruhe schälte sich der Gerichtsmediziner aus seiner Verpackung. Zum Vorschein kam gebräunte Haut, ein straffer Bauch, silbriges Haar und breite Schultern. »Angesichts der Hämatome an Wange und Augenbraue erscheint es mir als sicher, dass der Mann geschlagen wurde, kurz bevor man ihn erschossen hat.«
»Weil er sich wehrte?«
»Das ist denkbar.« Der Arzt warf sich sein Nadelstreifensakko über. »Gebracht hat es ihm allerdings nichts, wie wir hier sehen. Todeszeitpunkt war etwa zwanzig Uhr.
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