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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Stunde, die wir beide, Tabori, gemeinsam verbringen, erinnerst du mich mehr an meinen Sohn.«
    Der Junge wusste nichts darauf zu antworten.
    »Das macht meinen Schmerz nur noch schlimmer.«
    »Aber ich will nicht dir wehtun«, sagte Tabori.
    Ludwig streichelte seine Schulter. »Ich weiß, und das ist nett von dir.«
    Die Berührung bewirkte bei Tabori eine Gänsehaut.
    »Du siehst sogar ein bisschen aus wie Fritz!«
    Das fand Tabori zwar gar nicht, aber so genau konnte er sich auch nicht mehr an das Foto in der Geldbörse erinnern. Ludwigs Finger glitten sanft an seinem Arm hinab. Sie liebkosten Taboris Hand. Der Junge dachte an Gentiana in Gracen und wie sie ihm zum Abschied die Hand gestreichelt hatte, aber bei Ludwigs Berührung wollte sich das warme Gefühl nicht einstellen.
    »Du bist wie ein Sohn für mich«, sagte Ludwig.
    Aus dem Augenwinkel sah Tabori, dass sich etwas bewegte. Ludwigs Bademantel glitt zu Boden. Darunter war er nackt. Vorsichtig legte sich seine Hand auf Taboris Hüfte. Der Junge sah an sich hinab und beobachtete, wie Ludwigs Finger an dem Gummi seiner Unterhose herumspielten. Dann schlüpften sie unter den Hosenbund. »Ist dir das unangenehm?«
    Nein, das war es nicht. Er schüttelte den Kopf. Eher fühlte es sich seltsam an. Seltsam und fremd. Tabori versuchte, sich auf etwas Vertrautes zu konzentrieren. Zum Beispiel auf Tokio Hotel.
Lost and so alone. Born but never known. Left all on their own. Forgotten children.
Er konnte dem Text nicht folgen, aber er hätte ihn sowieso nicht verstanden.
You’ll never hear a name. They carry all the blame. Too young to break the chains.
    Ludwig drehte Tabori, jetzt wieder mit seinen Händen auf dessen Schultern, zu sich um. Er hockte sich hin, sodass ihre Gesichter einander sehr nahe waren. Die Nasenspitzen berührten sich fast. »Weißt du, wie oft ich mir wünsche, ein bisschen Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, so wie mit dir? Gemeinsam mit ihm Computer spielen. Musik hören. Vor dem Fernseher kuscheln. Alles das, was Vater und Sohn so zusammen machen.«
    Tabori nickte verunsichert.
    »Vater und Sohn«, Ludwigs Stimme war nur noch ein trauriges Flüstern, »die immer füreinander da sind.«
    Ludwigs Finger berührten ihn zwischen den Schenkeln. War es tatsächlich das, was Vater und Sohn miteinander machten? Taboris Körper versteifte sich.
Die immer füreinander da sind.
Langsam strich ihm Ludwig die Hose vom Leib, bevor er fast unhörbar sagte: »Gib mir deinen Mund.«

119
    Karin Spindler empfing Kalkbrenner im Schlafanzug, den sie notdürftig unter einem Morgenrock verbarg.
    »Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt?«, sagte Kalkbrenner.
    Mit einer entschlossenen Bewegung knotete sie den Gürtel ihres Mantels enger um die Hüfte. »Ich habe Migräne.«
    »Können wir uns drinnen unterhalten?«
    »Wenn Sie Ihre nassen Schuhe ausziehen.«
    Kalkbrenner stellte die Stiefel neben der Tür ab. Eine seiner Socken hatte ein Loch, sodass der große Zeh herausragte.
    »Ich wusste gar nicht, dass es Beamten
so
schlecht geht«, kommentierte Sackowitz’ Exfrau mit einem ironischen Grinsen den Anblick.
    Als Kalkbrenner seinen triefenden Mantel an die Garderobe hängte, übersah er den Turm aus Sandaletten, Sneakers und Absatzschuhen, der sich auf einem verschmutzten Läufer erhob. Er stolperte und brachte ihn zum Einstürzen.
    »Und dass Sie tollpatschig sind, war mir auch nicht bewusst.«
    »Ist Papa da?« Der neugierige Wuschelkopf eines kleinen Mädchens schaute aus dem Kinderzimmer heraus. »Darf ich mit ihm spielen?«
    »Nein, Leonie, das ist nicht Papa. Und überhaupt, du solltest längst im Bett sein.« Aus dem Zimmer daneben lärmte Rockmusik. Karin Spindler klopfte gegen die Tür. »Und du, Till, mach bitte etwas leiser. Deine Schwester muss schlafen.« Im Wohnzimmer drehte sie an dem Heizungsregler.
    Kalkbrenner nahm auf der Couch Platz. »Ich bin auf der Suche nach Ihrem Mann.«
    »Exmann, bitte.«
    »Stimmt, Entschuldigung. Ich suche also Ihren Exmann.«
    »Willkommen im Club. Den suche ich nämlich auch. Seit Wochen ist er den Unterhalt für unsere Kinder schuldig.«
    »Deshalb also noch der Name Sackowitz am Türschild?«
    »Immerhin können Sie schnell kombinieren.« Karin Spindler musste um Mitte vierzig sein. Nur wenige Falten waren auf ihrem Gesicht mit den hohen Wangenknochen und einem Kinngrübchen zu entdecken. In ihrem Haar leuchteten einzelne graue Strähnen, aber auch die konnten ihre Attraktivität nicht trüben. Vom Aussehen her

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