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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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bitter und kalt. »Genauso wie Sie!«
    »Ich dachte, ich hätte es Ihnen bereits erklärt: Es ist uns schlichtweg unmöglich, etwas gegen diese Männer zu unternehmen.«
    »Und was unternehmen Sie
dann überhaupt?«
    »Wir sind da, wenn die Kinder uns brauchen. Wenn sie nicht mehr wissen, wohin oder mit wem sie quatschen können. Dann reden wir mit ihnen, bieten Lösungen an – wenn sie es wollen. Wenn nicht, dann warten wir, lassen sie aber wissen, dass wir immer für sie da sind. Aufdrängen tun wir uns nicht. Und nein, wir versuchen sie auch nicht dazu zu überreden, damit aufzuhören. Das würde nämlich bedeuten, dass sie sich von den Männern lossagen müssten. Wir, die öffentliche Jugendhilfe, können den Kindern einfach nicht bieten, was ihnen die Männer geben: ein eigenes Zimmer, die tollste Jeans, eine PlayStation, 50 Euro Taschengeld am Tag. Nein, diese Kinder sind weder mit Worten noch mit Taten aus der Szene herauszuholen. Unter den Umständen werden sie immer wieder zu den Männern zurückkehren. Verstehen Sie? Deshalb werden sie auch niemals gegen sie aussagen. Und zwar nicht, weil sie unter Druck gesetzt werden.« Er nippte von seinem kalten Kaffee, verzog aber keine Miene. Wahrscheinlich war Wolfsbach daran gewöhnt. »Das System funktioniert viel perfider. Trotz der sexuellen Übergriffe sehen die Jungen in den Männern ihre Freunde. Oft sogar ihre Väter.«
    Wolfsbachs Ausführungen erklärten den Beamten einiges. Auch das Schweigen vom kleinen André war damit nachvollziehbar. Leichter machten sie die Sache jedoch nicht. Im Gegenteil: Sie wurde noch unerträglicher.
Haben Sie Beweise dafür? Oder Zeugen?
    »Aber vielleicht ist diese Verschwiegenheit in der Szene ja gerade Ihr Glück«, meinte Wolfsbach.

150
    Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Sackowitz’ Magen aus. Abwartend starrte er Heiko an, der wie immer ein T-Shirt trug, heute mit dem Aufdruck: »Grateful Dead«.
Dazu passte seine Mimik. Sein Grinsen war nichts als eine mühselig aufrechterhaltene Fassade, die jeden Augenblick in sich zusammenzustürzen drohte. Sackowitz konnte sich nicht daran erinnern, den Computerfreak jemals so traurig erlebt zu haben.
    »Also, das mit Christian …«, begann er mit belegter Stimme.
    »Ich habe echt keine Ahnung, wo er steckt.« Heiko zuckte mit den Achseln. »Bei mir hat er sich auch noch nicht gemeldet.«
    »Du weißt nicht, dass …?« Sackowitz fehlten die Worte.
    »Ich sagte doch schon: Manchmal hört man tagelang nichts von ihm.«
    Also wusste Heiko noch nichts vom Tod seines Kumpels. Wahrscheinlich war dessen Leiche in der dunklen Kreuzberger Bude noch nicht einmal entdeckt worden.
Er hockt tags wie nachts immer nur daheim hinterm Rechner.
Sackowitz entschied sich, nicht derjenige zu sein, der Heiko die grauenvolle Nachricht überbringen würde.
    »Aber ich
habe auch die ganze Zeit versucht, dich zu erreichen«, sagte Heiko.
    »Mein Handy ist aus.«
    »Verstehe.« Heiko winkte ihn zum Fahrstuhl hinüber. »Komm mal mit.«
    Sackowitz warf einen schnellen Blick in Bodkemas Büro. Der Chefredakteur war in ein Gespräch mit einem Fotografen vertieft, die Sekretärin mit ihrem Make-up beschäftigt. Beklommen folgte er dem Computerexperten. »Ich weiß, was los ist«, sagte Heiko, als sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlossen.
    Sackowitz hielt den Atem an. »Bodkema hat mit dir gesprochen?«
    »Nein, das nicht, aber ich sagte doch, ich habe das, wonach du suchst.«
    Mehr konnte der Journalist Heiko in den nächsten Sekunden nicht entlocken. Der Aufzug beförderte sie in die sechste Etage, in der sich Heikos Reich befand: ein Labyrinth aus Computern, Servern, Druckern, Plottern und einer Menge technischem Schnickschnack.
    Sie steuerten auf Heikos kleinen Laptop zu, auf dem ein
YouTube-
Clip flimmerte: eine weitere Episode von
South Park
. Eine Schrotflinte pustete gerade den Jungen mit dem orangefarbenen Kapuzenshirt in tausend Fetzen weg. »Das ist Kenny und …«
    »Heiko, bitte, ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für so etwas ist.«
    »Doch, denn Kenny ist der Schlüssel.«
    »Wofür?«
    »Dafür!« Heiko berührte mit dem Zeigefinger den Monitor seines stationären Rechners. Als er die Fingerkuppe wieder löste, prangte ein fettiger Abdruck auf dem Display, unter dem ein Ordner zu erkennen war. Er trug den Titel:
Orange.
    »
Ist das …?« Sackowitz wagte nicht, seine Hoffnung laut auszusprechen.
    »Ja, das dürfte der Ordner von deiner CD sein.«
    Die Nackenhaare

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