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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Vielleicht hatte er in seiner Aufregung ja versucht, sie in die falsche Richtung zu öffnen. Er zog sie nach innen – ohne Ergebnis. Er stemmte sich dagegen – nichts.
    »Hilfe!«, schrie er. »Hilfe!« Er hämmerte gegen die Tür. »Hilfe!«
    Immer weiter schlug er gegen das Metall, noch lauter und noch fester, bis die Haut seiner Handflächen aufplatzte. Niemand reagierte. Verzweifelt sank er zu Boden.
Ich komme bald wieder
,
dachte er.
Dann geht es uns besser
. Tränen füllten seine Augen.

152
    Die Tür hatte sich noch nicht ganz geöffnet, als eine überraschte Stimme erklang: »Anna, du?«
    Bei ihrem warmen Klang überkam Anna grenzenlose Erleichterung. Erschöpft taumelte sie nach vorn, stolperte über die Stufe und drohte der Länge nach in den Eingang zu stürzen.
    Starke Arme fingen sie auf. »Um Gottes willen, Anna.«
    Für Sekunden wurde es schwarz vor ihren Augen. Dann flatterten ihre Lider, und das Gesicht ihres Schwagers tauchte aus der Dunkelheit auf.
    Bernd betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Was machst du hier?«
    Anna sammelte ihren Speichel im Mund und schluckte ihn hinunter. »Steht … dein«, jedes Wort schmerzte in ihrer Kehle, »Angebot noch?«
    Bernd hielt sie noch immer fest umfangen. »Was redest du da?«
    Sie hustete. »Du wolltest … mir … doch helfen.«
    »Ja, natürlich, aber …«
    Die ersten beiden Worte seiner Antwort flößten ihr neue Kraft ein. Mit einem Ruck wand sich Anna aus Bernds Armen und deutete ein Stück die Auffahrt hinunter, wo zwischen Sträuchern und Bäumen, die das Ende seines Anwesens markierten, ein Taxi zu erkennen war. »Kannst … du bezahlen?«
    »Wie viel?«
    »46 Euro.«
    »Warte hier.« Nachdem er die Rechnung beglichen hatte, bugsierte er Anna ins Wohnzimmer. »Setz dich erst mal!«
    Im Kamin schürte er die Holzscheite zu einem ansehnlichen Feuer. Es knisterte und knackte, ein wohliges Geflüster, das Wärme spendete und Annas Nerven besänftigte, während Bernd sich in der Küche zu schaffen machte.
    Eine Wendeltreppe führte aus dem Wohnzimmer hoch zu einem offenen Dachboden, wo sich Bernds emporenähnliches Schlafgemach befand. Die Rückseite des Wohnzimmers bildete eine Glasfront, an die sich ein Wintergarten anschloss. Von hier schaute man auf Felder und Wiesen sowie auf die Ställe und sein Atelier.
    Bernd reichte ihr eine Tasse mit einer dampfenden Flüssigkeit. »Trink das, es wird dir helfen.«
    »Was … ist das?«
    »Heiße Milch mit Honig.«
    Anna hob den Becher an die Lippen, setzte ihn jedoch in dem Moment ab, als das Telefon klingelte. Sofort richtete sie sich kerzengerade auf.
    Bernd ging ran. »Alan?«, sagte er.
    Aufgebracht fuchtelte Anna mit den Händen.
    »Was? Anna ist aus dem Krankenhaus abgehauen? Aber warum?«
    Bernd lauschte in den Hörer.
    »Du weißt auch nicht, warum? Aber du glaubst, sie könnte sich auf den Weg zu mir machen?«
    Annas Mund formte ein stummes
Nein! Sag ihm nichts!.
    »Natürlich, Alan, sollte sie bei mir auftauchen, gebe ich dir sofort Bescheid. Aber … Nein, bisher hat sie sich nicht bei mir gemeldet.«
    Beruhigt griff Anna nach der heißen Milch, die brannte, als sie ihre Kehle hinunterlief. Sie musste husten, aber es klang bereits nicht mehr so heiser.
    Nachdenklich musterte Bernd seine Schwägerin: »Ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig.«
    Anna nahm einen weiteren Schluck. Die Milch breitete sich jetzt warm in ihr aus, sie wirkte beruhigend, ließ sie ihre Gedanken ordnen. Dennoch hatte Anna keine Ahnung, womit sie anfangen sollte zu erzählen. Schließlich verkündete sie nur: »Es war … Alan. Er hat … Manuel umgebracht.«
    »Alan hat Manuel umgebracht?« Bernd schien erstaunt. Sie konnte es ihm nicht verübeln.
    »Ich war so blind!«
    »Was meinst du damit?«
    »Seit Monaten hat mich Alan nicht mehr angerührt.« Sie gönnte ihrer Stimme eine kurze Pause. Das Feuer im Kamin prasselte. Die Hitze, die von den Flammen ausging, flirrte vor Annas Augen. »Er wollte mich nicht einmal mehr küssen. Nur für Manuel war er noch da.«
    »Ich verstehe kein Wort.«
    »Aber es ist doch alles klar. Manuel wurde immer verschlossener. Machte sich in die Hosen.« Anna stürzte den letzten Rest der Milch hinunter, als wäre sie ein starker Drink. »Und ich dachte, er würde unter der Trennung von Alan leiden. Dabei war alles so offensichtlich.«
    »Was war offensichtlich?«
    »Er hatte Ritalin dabei
.
«
    »Ritalin?«
    »Ein Beruhigungsmittel für Kinder.« Das Feuer im Kamin fraß

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