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Trieb

Trieb

Titel: Trieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Krist
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Sozialarbeiter hob einen der Kaffeepötte an, die bisher unangetastet zwischen ihnen gestanden hatten. Nicht weit davon entfernt ragte zwischen Ordnern und Papieren der Kopf eines Plüschteddybären hervor. Daneben lagen zwei angebrochene Kondomschachteln. Großpackungen. Der Gegensatz war so offenkundig, dass er in den Augen schmerzte. »Herr Kalkbrenner, wie stellen Sie sich einen Pädophilen vor?«
    »Was tut das zur Sache?«
    »Die meisten Leute stellen sich einen kleinen, dickbäuchigen Mann mit hässlichem Gesicht, fettigen Haaren und schmierigen Fingern vor, der von früh bis spät Kinder betatscht. In der Regel entgegne ich darauf Folgendes: ›Dann fehlen ja nur noch die Hörner und ein funkenspeiender Schwanz
.
‹ Lustig, oder?«
    »Nein«, sagte Kalkbrenner.
    »Überhaupt nicht«, fand auch Muth.
    »Ist es auch nicht«, gestand Wolfsbach und seufzte. »Aber worauf ich hinauswill: Diese Pädophilen sind ganz normale Männer. Sie mögen zwar im Ansatz eine Identität als Homosexueller oder als schwuler Mann besitzen, aber die meisten leben nach bisexuellen oder ausschließlich heterosexuellen Konzepten. Viele von ihnen sind sogar verheiratet und Familienväter. Sie können sich ganz normal und interessant mit ihnen unterhalten. Wenn Sie auf die Männer träfen, würden Sie denken: ›Mensch, mit denen könnte ich auch befreundet sein.‹ Das heißt, wenn Sie nicht genau wüssten, was sie sonst so treiben.«
    Es war Muth, die sich ein Herz fasste und fragte: »Und? Was treiben diese Männer sonst so?«

148
    Tabori krallte sich in die Polster des Beifahrersitzes. »Wir fahren wohin?«
    »Ich wohne ein bisschen außerhalb«, erklärte Erich. »Wir müssen ein Stück fahren.«
    Das Gleiche hatte er schon vor einer Viertelstunde gesagt. Seitdem glitten endlose Häuserreihen an ihnen vorbei. Zwar wurden die Wohnblöcke immer wieder von Grünanlagen unterbrochen, die mit einer weißen Schneeschicht gepudert waren, aber jedes Mal, wenn Tabori dachte, sie hätten den Stadtrand erreicht, begann ein neues Hochhausviertel.
    »Möchtest du etwas essen?«, fragte Erich. »Im Handschuhfach sind Gummibärchen.«
    »Gummi?«
    »Süßigkeiten.« Erich suchte im Handschuhfach nach der Tüte, doch Tabori hatte keinen Appetit. Er hielt die bunten, weichen Gummibären zwischen den Fingern und beobachtete starr die Menschen, die vorsichtig über die glatten Bürgersteige staksten.
    »Wie lange bist du schon in Deutschland?«, fragte Erich.
    »Nicht lange.«
    »Dafür sprichst du aber gutes Deutsch.«
    »Ich habe gelernt.«
    »Dann bist du ja ein richtig fleißiger Junge.« Abermals lichteten sich die Häuserzeilen, und diesmal ließen sie die Stadt endgültig hinter sich. Schneebedeckte Wiesen und Felder erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße. Weit und breit war kein Haus mehr auszumachen, nur noch Natur. Zweifel beschlichen Tabori. Aber dafür war es jetzt zu spät.
    »Gleich sind wir da.« Erich verlangsamte das Tempo.
    Sie fuhren durch ein kleines Dorf, das nur aus wenigen Häusern, einer Kirche und einem Fleischerladen bestand. Ein paar hundert Meter dahinter bog Erich in einen Feldweg ein.
    Taboris Magengrummeln verstärkte sich und nahm auch nicht wieder ab, als am Ende des Pfads endlich ein Bauernhaus in Sicht kam.
    »Das war früher für die Kühe, ein Stall«, erklärte Erich. »Ich habe alles renovieren lassen. Heute arbeite ich hier.«
    »Was arbeitest du?«, fragte Tabori. Es interessierte ihn nicht, aber er hoffte, sich dadurch von seinem unruhigen Magen abzulenken.
    »Dies und das.« Der Wagen kam vor dem Eingang zum Stehen. »Soll ich es dir zeigen?«
    Dafür bist du einfach nur ein bisschen nett zu mir.
Tabori hielt es für eine gute Idee, den Augenblick, der mit Sicherheit noch auf ihn zukommen würde, noch etwas hinauszuzögern. »Ja, gerne.«
    Erich führte ihn zu einem der Ställe. Er stellte eine Schaufel beiseite, die gegen die schwere Metalltür gelehnt war. Anschließend benötigte er einige Schlüssel, um alle Schlösser zu entriegeln. Der Anblick, der sich Tabori bot, enttäuschte ihn: Der Raum war weiß gefliest und enthielt nichts außer einem schmalen Schrank, einem Kühlschrank und einem alten, schmuddeligen Sofa, das sich unter Hosen und Hemden fast durchbog, und einem Stapel Zeitschriften. Noch nicht einmal Fenster gab es hier, nur schmale Glasspalten knapp unterhalb der Decke, durch die dünne Lichtbalken hereinfielen.
    »Das hier ist mein Refugium«, sagte Erich.
    »Refugium?«
    »Mein

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