Trieb
bist«, sagte eine sanfte Stimme.
38
Der Mittwochabend im
Café Verdun
,
so verriet ein Plakat am Eingang, gehörte ganz dem Rock’n’Roll. Eddy & The Strawberries schrammelten Ted Herold und Peter Kraus.
Gib dein Ziel niemals auf. Du hast manche Nacht drüber nachgedacht. Wie man glücklich wird. Was erfolgreich macht.
Die Gassenhauer hatten zwar bereits etliche Jahre auf dem Buckel, klangen in Sackowitz’ Ohren aber immer noch besser als das Schlagereinerlei der Vorabende. Einige der Stücke kannte er sogar noch aus seiner Jugend.
Er nahm seinen angestammten Platz an der Theke ein, und der Barkeeper stellte ihm ohne Aufforderung eine Cola light hin. Sackowitz war sich unsicher, ob er es als gutes Zeichen werten sollte, dass er anscheinend bereits Stammgast war.
Während er an seinem Getränk nippte, hielt er nach Magda Michels Ausschau, doch Tisch 141 war nicht besetzt. Überhaupt war die Singlebörse heute Abend nicht besonders gut besucht. Nur vereinzelte Damen und Herren saßen an den Tischen. Das rockige Musikangebot schien wohl weniger den Geschmack des betagten Stammpublikums zu treffen.
Er entdeckte keine vertrauten Gesichter. Was nicht bedeuten sollte, dass er in den letzten Tagen viele der Gäste kennengelernt hatte. Sackowitz überlegte ernsthaft, ob er sich an einen der Tische setzen und darauf warten sollte, dass das Telefon klingelte, aber das kam ihm dann doch zu albern vor.
Du warst nahe dran
,
und dein schöner Plan hätte fast geklappt
,
hast nur Pech gehabt.
Er beschloss, den Ted-Herold-Song als Aufforderung zum Gehen zu betrachten.
»Ach, hat dich deine neue Freundin versetzt?«, frotzelte es plötzlich neben ihm.
Sackowitz blieb auf seinem Barhocker sitzen und setzte zur Verteidigung an: »Sie ist nicht meine neue Freundin.«
»Zumindest wolltest du mit ihr
tanzen«, stichelte Renate weiter, worauf ihm keine Erwiderung einfiel. »Und was war das gestern mit deiner Frau?«
»Wie ich schon sagte: Ich bin geschieden.«
»Das war also nicht gelogen?«
»Nein, ist alles gestern nur ein bisschen blöd gelaufen.«
Renate lächelte, als wäre sie erleichtert. »Mein ›Mistkerl‹, den ich dir an den Kopf geworfen habe, war aber auch nicht gerade die feine englische Art.«
»Dann sind wir also quitt?«
Sie hob ihr Prosecco-Glas. »Ja, lass uns noch einmal von vorne beginnen.«
Er stieß mit der Cola an. »Das machen wir.«
»Kann ich mir dann Hoffnungen machen, dass du gleich mit mir tanzt?«
Heute hatte Renate sich nicht derart aufgebrezelt wie am Abend zuvor, und auch das Dekolleté ihres schwarzen Kleides offenbarte deutlich weniger nackte Haut – aber immer noch genug, um Sackowitz’ Fantasie Kapriolen schlagen zu lassen.
Lang
,
lang ist’s her
,
lang
,
lang ist’s her
,
behaupteten gerade Eddy & The Strawberries im Hintergrund, und Sackowitz war geneigt, ihnen recht zu geben.
Seit damals hab ich geträumt Tag und Nacht.
Der Reporter führte Renate auf das Parkett, zählte ein, und auf vier schwang er sein Bein. Doch Renate brauchte keine Führung. Mit eleganten, fließenden Bewegungen wirbelte sie ihn über die Tanzfläche.
Und wenn wir tanzen
,
Baby
,
dann nimm dich in Acht. Wenn ich tanze
,
ja
,
dann tanze ich die ganze Nacht.
Sackowitz fand zunehmend Gefallen am Rock’n’Roll seiner Jugend.
Als die Band ein ruhiges Stück anstimmte, sagte Renate: »Nicht dass du denkst, ich mache so etwas immer.«
»Was meinst du?«
»Na, Männer angraben und …«
»… zum Tanz auffordern?« Er lachte. »Was soll denn daran schlimm sein? Ich dachte, das Motto lautet Ball Paradox?«
»Natürlich, aber wenn man wie ich regelmäßig ins
Café Verdun
geht, dann hat man schnell einen Ruf weg, Motto hin, Männerwahl her. Auf der anderen Seite: Wo lernt man als alleinstehende Frau in meinem Alter sonst noch neue Leute bei Tanz und Musik kennen?«
Es war schwer einzuschätzen, wie alt Renate wirklich war. Im Halbdunkel konnte Sackowitz kaum Falten in ihrem Gesicht erkennen, aber das konnte auch am Make-up liegen, das heute zwar wesentlich dezenter ausfiel als bei ihrer letzten Begegnung, aber dennoch nicht zu übersehen war: Rouge rötete ihre Wangen, schwarzer Eyeliner umrandete ihre Augen. Sie musste definitiv älter als vierzig sein. Aber älter als fünfzig? »I wo, so schlimm kann es doch gar nicht sein.«
»Hardy, ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dir Mühe gibst, aber ich kenne sehr wohl den Ruf, den das
Verdun
in Berlin genießt.«
Er gab sich ahnungslos.
Weitere Kostenlose Bücher