Triestiner Morgen
entdeckt er verräterische Spuren der furchtbaren Feuersbrunst. So mancher Dachstuhl ragt als Skelett in den grauen Himmel.
Trotz mehrerer Verbotsschilder betritt Enrico eines der ausgebrannten Lagerhäuser. Inmitten von Schutt und Asche liegen ein paar angesengte Balken und Reste von großen Holzfässern. Und sofort überkommen ihn wieder Geruchsassoziationen. Dieses Mal ist es jedoch der Geruch von Alkohol, der ihm um die Nase weht.
Unheimliche Stille umgibt die alten Speicher, die heute viel zu klein wären, um die Ladungen der modernen Frachtschiffe aufzunehmen. Auch die Büros der staatlichen Hafenverwaltung haben ihre Tore längst geschlossen.
Alle diese unpraktischen Lagerhäuser sollen abgerissen werden. Ein paar Wirrköpfe wollen sie um jeden Preis erhalten und renovieren, hat Giorgio gesagt. Beim Gedanken an seinen Freund lächelt er versonnen. Giorgio ist ein netter Kerl gewesen, ein bißchen zu berechnend vielleicht, aber immer sehr freundlich und zuvorkommend. Früher hat er wie ein echter Gigolo ausgesehen. Mit etwas weniger Speck um die Mitte und weniger Durchtriebenheit im Herzen wäre er aber auch zuletzt noch glatt als Musiklehrer in einem Mädchenpensionat durchgegangen.
Triest ist eine Stadt der Männer. Im alten Hafen begegnen Enrico nur alte Männer. Die einen kauern wie steifgefroren auf den schmutzigen Bergen aus Tauen und vergönnen sich einen Tschik. Die anderen gehen spazieren, bewegen sich aber nur langsam, wegen der schlimmen Schmerzen im Kreuz oder in der ausgelaugten Hüfte.
Alter und Krankheit stoßen ihn ab, er läßt das Hafengelände hinter sich und verschwindet wieder in den dunklen Häuserschluchten.
Vor einer Bar, aus der laute Musik dringt, lungern ein paar Burschen herum. Kräftige, junge Männer mit breiten Schultern und kurzen gespreizten Beinen, rauchend, trinkend, aggressiv in Gestik und Mimik, jederzeit bereit loszuschlagen. Wie seine ehemaligen Zellengenossen lassen sie gern ihre Muskeln unter den schweren Lederjacken spielen und wiegen sich herausfordernd in den Hüften, als er an ihnen vorbeischlendert – ein unscheinbarer, älterer Mann, und doch könnte er es spielend mit jedem von ihnen aufnehmen.
Nur wenige junge Leute scheinen heute noch in Triest zu leben. Die Stadt ist überaltert, denkt Enrico. Die Jungen, die hier geblieben sind, wirken ernst und mühsam verhalten in ihrem Zorn. Ihre Aggressionen äußern sich jedoch nur selten verrückt und mediengerecht, sondern versanden meist in stummer Resignation. Die Alten sind in der Überzahl. Sie sind noch ruhiger als die Jungen, geben sich gelassen und ein wenig melancholisch. Tagein, tagaus hocken sie auf der Straße vor den finsteren Läden und in den kleinen Cafés, vor sich ein Glas Wasser und eine Karaffe mit Rotwein, schaukeln gemächlich mit ihren Stühlen und werden nur heftig in ihren Debatten, die sich um die immer gleichen Themen bewegen: Politik und Sport, Sport und Politik, das Meer und die Fische, die Fische und das Meer.
Gestern abend waren wir in unserer Lieblingsbar in der Spatzenallee. Mit den ersten Sonnenstrahlen stehen hier Tische und Stühle vor den Türen. Die vielen kleinen Lokale, die Häuser mit den schmalen Balkonen und die Platanen entlang der Straße, die den Fußgängern gehört, ja die ganze Atmosphäre erinnert mich an Paris, obwohl ich noch nie in Paris war.
Auch gestern abend befand ich mich wieder in dieser angenehm aufgeregten Stimmung. Ich flirtete mit allen Männern im Lokal, ließ mir nicht einmal durch Enricos und Giorgios mißbilligende Blicke die Laune verderben. Zu später Stunde hielt ich es dann vor lauter Erregung fast nicht mehr aus und drängte Enrico, nach Hause zu gehen. Doch er war schon zu betrunken, um meine eindeutige Einladung zu verstehen. Der einzig nüchterne von uns allen war Michele. Wegen der vielen Tabletten, die er ständig schlucken muß, trinkt er meistens keinen Alkohol.
Die Männer spielten Karten, ließen Michele und mich nicht mitspielen. Als Livio noch eine Flasche Spumante bestellte, warf ich Michele einen auffordernden Blick zu und ging aufs Klo. Er ließ sich nicht lange bitten, solche Blicke kapiert er sehr schnell. Wir trieben es miteinander im Stehen, unsere Körper an die Klotür gepreßt, die sich leider nicht absperren ließ. Aber wir brauchten beide nicht lange und leisteten den drei Kartenspielern bald wieder Gesellschaft.
Giorgio war der einzige, der unser Verschwinden mitgekriegt hatte. Als wir zurückkamen, haute er ab,
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