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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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»Bring dem Herrn einen doppelten Espresso und einen Grappa, Liebling.« Und zu Enrico sagt sie: »Waren Sie schon einmal hier? Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor.« Sie schaut ihm tief in die Augen und geht dann zurück in die Küche.
    Rasch wirft er ein Bündel Scheine auf den Tisch, fühlt sich aber trotzdem wie ein Zechpreller, als er schnellen Schrittes das ›Bufet Ljublianka‹, in dem er die befriedigendsten Stunden seiner Jugend verbracht hat, verläßt.
    Durch eine schmale, gewundene Gasse gelangt er wieder hinunter ans Meer. Im Gefängnis hat er oft von dem Gefühl der Geborgenheit in den engen Gassen Triests und von der Großzügigkeit des Hafenbeckens geträumt.
    Giorgio sprach von den kosmopolitischen Allüren der Einheimischen und ihrem mangelnden Realitätssinn. Auch in dieser Hinsicht hält sich Enrico für einen echten Triestiner. Seine Träume hielten ihn zwanzig endlose Jahre lang am Leben und seine Allüren erleichterten ihm den Gefängnisalltag.
    Er schlendert über den Parkplatz.
    Schräg gegenüber der Fischhalle und dem etwas anachronistisch anmutendem Aquarium öffnet sich die Piazza Venezia. Verführerischer Fischgeruch steigt ihm in die Nase.
    Enrico meidet die hübsche, von Bäumen eingerahmte Piazza, macht einen großen Bogen um die teuren Restaurants, geht hinüber zur Fischhalle und späht durch die schmutzigen Fensterscheiben in eine gespenstische Leere.
    Vielleicht hat Giorgio doch recht gehabt? Fisch scheint heute tatsächlich Mangelware zu sein. Ohne die regelmäßigen Lieferungen aus Kroatien sind wir wahrscheinlich wirklich aufgeschmissen. Dann fällt ihm ein, daß heute Feiertag ist, und er muß über seinen notorischen Pessimismus selber lachen.
    Um auf andere Gedanken zu kommen, besucht er den Jachthafen, bewundert eine Weile die schönen Segelschiffe, die dort vor Anker liegen, träumt von fremden Meeren und fernen Ländern und schlendert dann am Ufer entlang wieder zurück.
    Die öffentliche Badeanstalt erweckt angenehme Erinnerungen an wärmere Tage. Hier ging auch er mit Gina öfters baden. Sie zog in ihrem knallroten Bikini die Blicke aller Männer auf sich. In jenen glücklichen Tagen war er nicht eifersüchtig, sondern sehr stolz auf sie gewesen.
    Er stellt seinen Koffer auf den Boden, setzt sich drauf, schließt die Augen und denkt an vergangene Zeiten.
    Die ›Stazione Marittima‹ war einer der Plätze, an den er auch früher gern hinging. Abends, wenn die Lichter des Leuchtturms über den stillen Wassern der Bucht kreisten, sich mit dem milchigen Schein des Mondes vereinten und glitzernde Spiegelbilder auf das schwarze Meer zauberten, war es hier besonders schön.
    Er sehnt sich nach einer Zigarette, aber dieses Mal will er konsequent bleiben. Unruhig rutscht er auf seinem Koffer hin und her, steht nach ein paar Minuten wieder auf und geht weiter.
    Auf dem Molo Audace entdeckt er zwei Angler. Aus einem laut aufgedrehten Kofferradio dringen hysterische Laute. Der Wahlkampf für die bevorstehenden Kommunalwahlen scheint sich in einer heißen Phase zu befinden.
    Enrico zieht seinen Hut tiefer ins Gesicht und gesellt sich zu den beiden Männern, behält aber einen gewissen Respektabstand bei. Nach einer Weile kann er seine Neugier nicht mehr länger bezähmen und wirft einen Blick in die große Plastikkiste. Gähnende Leere. Auch die Eimer sind leer. Er findet den Optimismus der beiden Angler bewundernswert.
    Doch plötzlich spürt er ihre Nervosität, spürt sie beinahe körperlich. Die Angelrute des älteren Mannes biegt sich, die Leine ist zum Reißen gespannt. Die leisen Anweisungen und Kommentare des anderen kann Enrico nicht verstehen. Er tritt nahe an die Kaimauer heran und sieht zu, wie sich ein großer Thunfisch langsam und dann immer schneller und schneller nähert.
    Was für ein Fang! Verirrte sich doch schon früher nur höchst selten so ein Prachtexemplar in die Bucht von Triest.
    Die Angler haben alle Mühe, den mindestens zehn Kilo schweren Brocken aus dem Wasser zu ziehen. Enrico trifft keine Anstalten, ihnen zu helfen, starrt jedoch wie gebannt auf die beiden Männer, die mit einer rostigen Kette und einem Stein auf das sich immer wieder aufbäumende, aber zuletzt nur mehr hilflos zappelnde Tier einschlagen.
    Trotz seines warmen Mantels fröstelt ihn. Der Todeskampf des großen Thunfischs, die dunklen Flekken auf den Steinplatten und die lauten, aufgeregten Stimmen der Männer behagen ihm nicht. Er wendet sich ab, geht weiter hinaus auf den Molo.
    »Sie

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