Triestiner Morgen
ohne sich von uns zu verabschieden. Giorgio ist immer so schnell beleidigt, vor allem erträgt er es nicht, wenn man ihn in seiner Eitelkeit kränkt. Wie kann ich nur ihm, diesem vor lauter Männlichkeit nur so strotzenden Mannsbild, diesen Irren vorziehen?
Ich darf gar nicht an gestern abend denken, sonst bleibe ich gleich zu Hause und hole mir Michele rauf. In letzter Zeit wage ich es allerdings kaum mehr, ihn in Enricos Wohnung mitzunehmen. Mein Liebster kam letzte Woche gleich zweimal zu völlig ungewöhnlicher Zeit nach Hause. Ob er Verdacht geschöpft hat?
Michele ist tatsächlich nicht im Geschäft. Eigentlich ist diese Bruchbude vom Kosic gar kein Antiquitätengeschäft, sondern ein abgetakelter Trödelladen.
Wenn der Alte wüßte, daß sein lieber Junge es mir gestern so gut besorgt hat. Ich glaube zwar nicht, daß er schwul ist, obwohl Giorgio und Livio behaupten, Kosic würde sich den Jungen als Liebhaber halten und ihn nur adoptiert haben, um den Anstand zu wahren, aber ich kann mir das einfach nicht vorstellen, und Enrico glaubt es auch nicht.
Zugegeben, der Gedanke, daß Michele schwul sein könnte, hat mich besonders gereizt. Er hätte sich niemals getraut, mich anzurühren, und hätte auch nie nur die Andeutung eines Annäherungsversuches gewagt. Aber seit unserer ersten Begegnung himmelte er mich an, er schrieb mir wunderschöne Gedichte, schenkte mir Blumen und einmal sogar einen silbernen Kerzenleuchter, den er bestimmt aus dem Laden geklaut hatte.
Vor ein paar Wochen, als ich Enrico sicher aufgehoben in seinem Büro wußte, bat ich ihn, unter dem Vorwand, daß er einen alten Stich, den er mir geschenkt hatte, aufhängen sollte, zu mir.
Ich brauchte ihn nicht lange zu verführen. Er stürzte sich mit einer Leidenschaft auf mich, die ich vorher noch nie erlebt hatte. Seine Küsse waren heftig, taten mir weh, er biß meine Lippen wund, verbiß sich in meine Brust. Ich konnte eine Woche lang nicht nackt schlafen, Enrico hätte die Bißspuren sofort bemerkt. Zum Glück bekam ich damals gerade die Regel. Da ich oft schlimme Bauchschmerzen während der Regel habe, war es gar nicht so schwierig, mir Enrico vom Leib zu halten.
Ich bestand darauf, daß Michele es mit mir machte wie die Schwulen, und trieb es seither mit ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Nie zuvor habe ich so einen potenten jungen Mann gekannt, obwohl mein bisheriges Leben nicht gerade arm an Liebhabern war. Schade, daß er nicht ganz richtig im Kopf ist. Ich hoffe nur, daß das Kind in meinem Bauch nicht von ihm ist. Geisteskrankheiten sind angeblich vererblich. Ich habe keine Lust, einen kleinen Irren auf die Welt zu bringen und dann auch noch aufzuziehen. Vielleicht sollte ich mich doch besser diesen langwierigen Untersuchungen unterziehen, die mir mein Frauenarzt vorgeschlagen hat.
Wenn Michele nur nicht so süß wäre. Irgendwie erinnert er mich an diese mittelalterlichen Minnesänger aus meinen Schulbüchern. Obwohl, die trieben es nie. Und wenn mich Michele in seine Arme nimmt, vergesse ich einfach seine kleinen Verrücktheiten. Er ist ein großartiger Liebhaber, selbst Enrico könnte noch einiges von ihm lernen, von Livio und Giorgio gar nicht zu reden.
Ich gerate wieder ins Schwärmen. Herr Kosic sieht mich bereits so komisch an. Ich bitte ihn um einen Zettel und ein Kuvert und mache mich aus dem Staub.
Im Stiegenhaus schreibe ich: »Erwarte dich um 15 Uhr 30 im Hotel Orient, Zimmer 7« und werfe Michele die Nachricht durch den Türschlitz.
Die Vorstellung, daß der gute Giorgio nicht nur für sein eigenes, sondern auch für mein Schäferstündchen mit Michele aufkommen wird, bereitet mir ein spezielles Vergnügen. Giorgio bezahlt dem schleimigen Hotelbesitzer immer erst am Ende des Monats die Stunden, in denen er sich mit mir dort vergnügt. Nachrechnen wird wohl hoffentlich unter seiner Würde sein.
Die schöne Frau im Bahnhofscafé wirkt leicht aufgelöst. Rötliche Flecken verunstalten ihre zarte, weiße Haut, und ihr Haar ist zerzaust. Sie zündet sich eine Zigarette an.
»Sie rauchen zuviel. Warum sind Sie bloß so nervös? Haben Sie Angst, daß Ihr Zug heute nicht mehr kommt? Warten Sie es ab. Es hat doch keinen Zweck, sich schon vorher aufzuregen. Frauen regen sich viel zu leicht wegen jeder Kleinigkeit auf. Auch die Frau, die ich vorhin erwähnt habe, hat sich furchtbar leicht aufgeregt.«
»Frauen sind nun einmal leicht erregbar.«
»Und das nennen sie dann Liebe.«
»Sie haben bestimmt niemals
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