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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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auf den Hotelbesitzer gestürzt, versucht, ihm mit einem schweren Aschenbecher den Schädel einzuschlagen. Jedenfalls hat er das den Bullen erzählt, und die haben mich in die Klapsmühle gebracht.«
    Inzwischen steht es 9 : 6 für Enrico.
    Er serviert, wirft den Ball zwanzig Zentimeter hoch in die Luft, verpaßt ihm einen teuflischen Rechtsdrall, und Micheles Return landet prompt im Netz.
    10:6.
    Als nächstes spielt Enrico das extrem kurze, diagonale Service, das ihm Dino beigebracht hat. Michele erwischt es zwar, retourniert aber, wie erwartet, lang auf die Vorhand seines Freundes. Enrico haut mit aller Kraft drauf und verfehlt die Tischkante um höchstens zwei Zentimeter.
    10 : 7.
    »Was hast du dort zu suchen gehabt?«
    »Ich war mit ihr verabredet, sie hat mir in der Früh eine Nachricht durch den Türschlitz gesteckt.«
    Enrico verschlägt auch den nächsten Ball.
    10 : 8.
    »Blödsinn! Sie hat sich mit Giorgio getroffen.«
    »Vorher.«
    Enrico serviert ins Netz.
    10:9.
    »Hast du das gewußt?«
    »Geahnt.«
    Gegen Micheles Backhand-Konter ist er machtlos.
    Ausgleich: 10:10.
    Aufschlag Michele.
    »Und das hat dir nichts ausgemacht?«
    »Ich war froh, daß sie auch mich hat sehen wollen.«
    Micheles Verzweiflungsschlag landet in Enricos Bauch, hat aber vorher noch die weiße Linie gestreift.
    11:10.
    »Ich weiß, daß du dort gewesen bist.« Enrico wischt sich mit seinem Hemdzipfel den Schweiß von der Stirn. »Ich hab dich vorm ›Orient‹ herumschleichen gesehen.«
    Ein exakt plazierter Vorhand-Top-Spin. Michele erwischt ihn mit der Rückhand, blockt ihn ab, und Enrico kontert mit einem wuchtigen Vorhand-Schlag.
    Ausgleich: 11:11.
    »Ich hab dir ja gesagt, daß ich dort war.«
    »Entscheidend ist, wann du im Hotel gewesen bist. Vor oder nach mir?«
    »Wie meinst du das?«
    »Genauso, wie ich es sage.«
    »Aber Enrico, du glaubst doch nicht ...« Er verschlägt einen läppischen Ball.
    12 : 11 für Enrico.
    »Was ich glaube, ist egal. Vielleicht bist du nicht ganz bei Sinnen gewesen, wäre ja nichts Ungewöhnliches bei dir ...«
    Michele hebt einen geschnittenen Ball ganz sanft übers Netz. Enrico verschlägt ihn.
    Ausgleich: 12 : 12.
    »Du bist ge ... gemein«, stammelt Michele. Seine Augen sind feucht, und auf seiner Stirn sammeln sich Schweißperlen. »Fängst du immer gleich zu heulen an, wenn’s eng wird?« herrscht ihn Enrico an und beanstandet sein nächstes Service. »Dein Schläger ist naß, wisch ihn gefälligst ab.«
    Michele wiederholt sein Service. Der Ball streift das Netz.
    »Zweimal wiederholen gibt’s nicht. 13:12 für mich.«
    Michele protestiert nicht, obwohl auch er die Regeln kennt.
    Enrico serviert.
    Michele erwischt das lange, scharfe Service, kontert mit Vorhand auf Enricos schwache Seite, die Rückhand.
    Enrico gelingt ein selten schöner Backhandschlag, und Michele antwortet mit einem nicht minder perfekten Vorhandschlag. Sie liefern sich das schönste Konterduell seit Beginn des Spieles. Enrico verschlägt schließlich, den falschen Fuß belastend, einen weniger gefährlichen Ball. Sein Schläger fliegt übers Netz, trifft die Brust seines Freundes.
    Michele bückt sich stöhnend. Plötzlich steht Enrico neben ihm. Michele reicht ihm den Schläger und blickt dabei wie ein geprügelter Hund zu Boden.
    Enrico hält den Tischtennis-Schläger gleich einer Axt in der erhobenen Hand, holt aus und schlägt zu, schlägt immer wieder mit der Kante auf Micheles Kopf.
    »Du hast nicht länger mitansehen können, daß sie es auch mit anderen treibt. Gib es wenigstens zu!«
    Michele hebt die Arme, hält sie schützend vor seine Augen. Doch diese demütige Geste scheint Enrico nur noch mehr zu reizen. Er ballt seine Linke zur Faust und versetzt ihm einen Schlag ins Gesicht. Mit Genugtuung stellt er fest, daß Micheles Nase zu bluten beginnt. Er läßt den Schläger fallen, trommelt mit beiden Fäusten auf den Freund ein und brüllt: »Du hast sie ganz für dich allein haben wollen, hast es nicht ertragen, daß sie sich auch von Giorgio und Livio bumsen läßt.«
    Der um einen Kopf größere und zehn Jahre jüngere Michele wehrt sich nicht, schreit nicht, gibt nur ein klägliches Wimmern von sich. Über seinem rechten Auge ist die Haut aufgeplatzt. Tränen, vermischt mit Blut, rinnen über sein schönes, fast faltenloses Gesicht.
    Ein Tritt in den Bauch läßt ihn zu Boden gehen. Doch Enrico ist noch lange nicht besänftigt. Er trampelt auf den am Boden Liegenden ein, versetzt ihm harte Tritte

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