Triestiner Morgen
Teint.
Er überreicht mir die Flasche, als wär’s ein Blumenstrauß und drückt mich mit leidender Miene fest an sich.
»Giorgio, mein Bester ...«
»Mein Engel ...«
Mein zweitschlechtester Liebhaber gibt sich heute betont leidenschaftlich. Die Flasche rutscht mir aus der Hand, fällt auf den Boden, bleibt, dank Teppichboden, aber ganz.
Giorgio reißt mir die Unterwäsche vom Leib – ein Träger meines BH’s muß dran glauben – und wirft mich aufs Bett. Die Federn quietschen, und ich nicht minder laut. Ich weiß, wie man einen Schlappschwanz auf Touren bringt, weiß, wie wichtig es ist, realistisch zu stöhnen.
Allerdings findet er es nicht einmal der Mühe wert, sich auszuziehen. Wahrscheinlich verwechselt er sein rüdes Benehmen mit Leidenschaft. Ohne mich vorher zu küssen oder gar zu streicheln, dringt er in mich ein. Das habe ich schon so besonders gern. Sofort verkrampfe ich mich und versuche, ihn wieder hinauszubefördern. Doch seine Stöße sind fest, wie immer am Anfang, später läßt er gehörig nach.
Während ich die Risse auf der Decke von ihrem Anfang bis zum Ende verfolge oder umgekehrt, plagt er sich auf mir ab, stöhnt und schwitzt und murmelt unanständige Worte, um sich selber anzuspornen.
Egal, wie lange er sich abplagt, ich krieg keinen Orgasmus, selbst wenn ich an Michele denke oder an Enrico, es nützt alles nichts. Gelangweilt zähle ich bis hundert und zurück und feuere ihn mit verstellter Stimme an. Schade, daß ich keine Uhr habe, ich würde seine Marathonakte gern einmal genauer kontrollieren – und vielleicht nach einer halben Stunde auf Stopp drücken? Der Gestank seines billigen Rasierwassers legt sich auf meine Atemwege. Mir geht bald die Luft aus. Endlich schnauft er mir seine letzten, unangenehm feuchten Seufzer ins Gesicht.
Ich schiebe seinen schweren Körper weg, beuge mich über ihn, schenke ihm mein charmantestes Lächeln und sage: »Du wirst bald Papa werden.«
Wie von einer Tarantel gestochen springt er auf, packt meine Arme und drückt mich fest auf die Matratze.
»Spinnst du?«
Noch immer huldvoll lächelnd, antworte ich: »Ich meine es ernst, ich bin schwanger – von dir. Freust du dich nicht?«
Seine Züge spiegeln alles andere als Freude wider. Er braucht ein paar Minuten, bis er sich wieder gefangen hat, dann brüllt er los, beschimpft mich auf die übelste Art, ›dreckige Hure‹ und ›läufige Hündin‹ sind nur die harmlosesten Ausdrücke. Als ihm keine Schimpfworte mehr einfallen, schlägt er zu, schlägt mich ins Gesicht. Die Haut über meinem linken Auge platzt, und plötzlich spüre ich den Geschmack meines eigenen Blutes im Mund.
Die Telefonzelle vor dem Bahnhof steht fast direkt unter einer Straßenlaterne. Enrico blättert im Triestiner Telefonbuch, sucht sich die Nummer der psychiatrischen Ambulanz in Barcola heraus.
Nach mehrmaligem Läuten meldet sich eine helle, junge Frauenstimme. Mit knappen Worten teilt er der Frau mit, daß einer der Patienten schwer verletzt in einer Badekabine am Strand liegt und hängt, bevor sie auch nur eine Frage stellen kann, wieder auf.
Dann holt er seinen Koffer aus der Gepäckaufbewahrung und kehrt ins Bahnhofscafé zurück.
Er hat sich entschieden, Triest mit dem nächsten Schnellzug zu verlassen. Auf einem albanischen Frachter anzuheuern, erscheint ihm zu gefährlich. Er befürchtet, daß selbst die Albaner seine Papiere überprüfen würden, während die Zöllner im Zug bestimmt nur einen kurzen Blick drauf werfen werden.
Die beiden Ungarinnen sind nach wie vor in ihre Karten vertieft. Vor der Dünnen mit den weißblonden Löckchen häufen sich Zehntausend-Lire-Scheine und jede Menge Münzen. Sie scheint mehr Glück zu haben als ihre Freundin.
Beruhigt registriert Enrico, daß auch der Mann mit den langen, weißen Haaren noch am Tisch an der Wand sitzt. Seine Nerven haben ihm draußen in Barcola tatsächlich einen Streich gespielt. Seine schöne Begleiterin ist allerdings nirgends zu sehen.
Kurze Zeit später betritt sie das Lokal, steuert, ohne Enrico auch nur einen Blick zu gönnen, auf den Tisch der beiden Ungarinnen zu und borgt sich 800 Lire aus. »Ich bin nicht gewillt, für die Benützung des Waschraums noch einmal 200 Lire Trinkgeld hinzulegen, ich gebe Ihnen die Achthundert zurück, nachdem ich gezahlt habe«, sagt sie so laut, daß es jeder hören kann. Dann nimmt sie ihren Koffer, der noch immer an der Theke steht, und verschwindet wieder in Richtung Toiletten.
Im Waschraum rosten
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