Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
es, nein, jeder weiß es, nach acht (gleichen) Fragen habe ich acht (verschiedene) Antworten. Auch vom Mann hinterm Ticketschalter, er antwortet wunderbar kryptisch: »Time? No time!« Ich frage nach und erfahre, dass no time »free time« bedeutet, sprich, dass es dem Zug freisteht, wann er gedenkt, hier vorbeizukommen. Eine solche Antwort ist eine Reise wert. Nur Inder haben die Fantasie, so spielerisch mit der Zeit, die uns andere in Atem hält, umzugehen. Um 17.17 Uhr ist es soweit, der Zug hat sich entschieden, er fährt ein.
Am nächsten Morgen kehre ich zurück nach Sarnath. Jemand gab mir eine Adresse, die vielleicht weiterhilft. Ich teile die (motorisierte) Rikscha mit einem Ehepaar. Der Mann ist stämmig, wildes Haar wuchert aus seinen beiden Ohren, die schweren Hände voller Schwielen passen zu seinem Körper. Ein Arbeiter. Neben ihm seine schöne Frau, beunruhigend schön. Ich frage mich, wie er sie anfasst, welche Bewegungen seine Hände vollführen, wenn sie Liebe machen. Und ich denke an die Siege der Liebe, die über so vieles hinwegblickt.
Ich suche die Maha Bodhi Society auf, eine buddhistisch organisierte Gesellschaft, die auch sozial tätig ist, Krankenhäuser und Schulen finanziert. Am Eingang steht: »May peace settle in the world and ignorance be expelled«, Friede möge sein auf Erden und die Ignoranz ein Ende haben. Herkulische Aufgaben. Der Mann im Office muss mich enttäuschen. Sie veranstalten keine Meditations-Camps, kein Guru weit und breit steht zur Verfügung, um mich auf den rechten Weg zu begleiten. Aber er verweist auf die Ramakrishna Mission , die etwas außerhalb der Stadt liege. Dort hätten sie, was ich suche.
Ich trete hinaus, der Vorgarten blüht, die Wintersonne verschönert das Leben eines jeden, der hier gerade vorbeikommt. Ich schwöre: Ich will den »Weg nach innen« nur antreten, wenn der Weg auch nach außen führt, zurück in die Welt. Nichts wäre absurder, als sich nach innen zu verziehen, um der Welt, diesem Weltwunder, zu entsagen. Innen und Außen sollen sich bedingen, nicht ausschließen. Zwischen beiden Polen lauern Freuden und Niederlagen. Einsichten immer. Nur beherzt muss einer sein. Das schon.
Und noch etwas, der Geistesblitz kam letzte Nacht wie eine Erlösung: Ich habe mich von dem Überwort »Erleuchtung« verabschiedet. So ein Anspruch kann tot machen, an ihm kann man zerbrechen. Ich suche niemanden und nichts, um erleuchtet zu werden. Weil ich nicht daran glaube. Weil auch »Erleuchtete« Irrwege betraten, auch buddhistisch Erleuchtete, weil keiner jede »Wahrheit« wusste und nie einer imstande war – den pompösen Ausdruck habe ich vor kurzem gelesen – die »Wesensschau aller Dinge« zu erfahren. Vergleicht man den Inhalt der »heiligen Bücher« mit dem heutigen Stand des Wissens, dann wird umgehend klar, dass »heilig« oft nur Naivität und Anmaßung kaschierte. Und kaschiert. Meist beides. Und meist als probates Mittel funktionierte, um Machtverhältnisse zu rechtfertigen.
»Veritas filia temporis«, das allerdings ist eine ewige, unschlagbare und ganz unheilige Wahrheit, die ich aus meiner Schulzeit gerettet habe: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit .
Malulal, ein Rikscha-Radfahrer, spricht mich an. Er hat nur seine beiden dünnen Waden, keinen Motor, und der Weg ist weit, sieben, acht Kilometer sollen es sein. Aber wie jeder in seiner Berufssparte ist er ein begnadeter Schwindler, der sofort behauptet, dass er sich auskennt und die Straße dorthin gerade geteert wurde: »I promise you, I am honest man.« Wie abzusehen, falle ich auf ihn herein. Seine verhungerten Waden erinnern mich an meine eigenen. Auf oft seltsamste Weise kommen sich Fremde näher. Wie erfreulich, denn sein Schwindeln soll mein Segen werden.
Nach drei Ecken haben wir Sarnath verlassen und es geht über ein Kopfsteinpflaster aus dem 19. Jahrhundert. Malulal muss ab sofort stehend in die Pedale treten, völlig unbekümmert um meine Schuldgefühle. Vorsichtshalber frage ich Fußgänger nach der Ramakrishna Mission , von der niemand etwas weiß. An einer siebten oder achten Kreuzung erfahren wir wieder nichts, nur dass es »dort« – Inder haben eine wunderbar nonchalante Art, vage in ferne Himmelsrichtungen zu deuten – »so was Ähnliches« gebe. Wir radeln weiter, irgendwann tauchen ein angerostetes Schild und hundert Meter dahinter eine lilablaue Mauer auf, ein »Vipassana Center«. Am Tor sitzt ein alter Mann, der uns willkommen heißt. Es ist die absolut
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