Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
hatte, ihn therapeutisch von seinen »Dämonen« zu befreien. Der Dichter lehnte das Angebot mit dem Hinweis ab, dass dabei wohl auch seine »Engel« verschwinden würden. Beides würde ihn verlassen, die Depressionen und sein Sprachgenie, eben sein Flammenwerfer, um die Abstürze der Seele in Schach zu halten. Das Ergebnis wäre folglich »Normalität«, genau zwischen kalt und heiß, nur immer lauwarm, laukalt.
Die Anekdote schützt klug gegen den pathologischen Anspruch auf das pausenlose Glück. Es wäre nichts als ein pausenloses Unglück. Vor wem müsste man dann entschlossener davonrennen? Vor dem gnadenlos Tranigen, der sich jedem Zeitgenossen als ambulantes Unheil offenbart, oder dem Kuhblick-Verzückten, der so nervt mit seiner blindwütigen Zufriedenheit? Ich bin bestimmt nicht in dieses Land gereist, um mir via Buddhismus ein Narkosemittel gegen meine inneren Turbulenzen zu besorgen. Im Gegenteil, er soll mich ausrüsten mit der Fähigkeit, sie hinzunehmen, sie auszuhalten, sie als Eintrittspreis für die Höhenflüge zu begreifen.
Nach knapp zwei Stunden setzt sich ein junger Kerl neben mich, spricht mich sofort an. Er glüht vor Wissbegierde. Aber es handelt sich eben nicht um diese verfluchte Neugier, die umgehend versiegt, sobald sie weiß, woher man kommt und wie man heißt, nein, der 18-Jährige fragt, ob ich mich für »poetry« interessiere. Nein, sage ich, ich interessiere mich nicht für sie, ich liebe sie.
Ishan erzählt, dass er gerade von seiner »poetry class« komme. Sechs Mal die Woche fährt er nachmittags, nach der Schule, eine Stunde hin und eine zurück. Um mit Gleichgesinnten über Poesie zu sprechen. Er reicht mir sein dickes Heft, unter dem heutigen Datum steht folgende Hausaufgabe: »Schreiben Sie eine kurze Anmerkung zu Robert Brownings Liebes-Philosophie in seinem Gedicht Eurydice to Orpheus .« Und der Junge hat schon geantwortet, fängt an mit: »Um seine geliebte Frau wieder zu treffen, ist Browning bereit, alle Schmerzen und alles Leid auf sich zu nehmen.« In seiner Mappe steht die halbe (englische) Weltliteratur. Über Alfred Tennyson, John Donne und John Milton hat die Klasse schon gesprochen, deren Gedichte diskutiert. Fünfzehn weitere Namen befinden sich auf seiner Favoritenliste.
Natürlich weiß Ishan um die berühmte Liebesgeschichte zwischen Browning und Elizabeth Barrett, die London Mitte des 19. Jahrhunderts in Atem hielt. Sie, bleich und kränkelnd, bereits vierzig, abgeschieden und (grandios) dichtend, lernt den sechs Jahre jüngeren Robert Browning kennen. Per Briefwechsel. Und erst nach hunderten von Briefen und 21 Monaten darf er sie besuchen. Heimlich, denn ihr Vater will nichts wissen von anderen Männern. Und heimlich schmieden sie Pläne und heimlich fliehen sie nach Florenz. Und diese Liebe bringt die Elende zurück ins Leben, sie blüht wieder und wird Mutter mit 43. Über fünfzehn Jahre hält die Nähe zwischen den beiden, erst ihr Tod wird sie beenden.
Selbstverständlich hat Barrett ihre bewegendsten Gedichte, die Sonette aus dem Portugiesischen , dem Mann geschenkt, der sie um 28 Jahre überleben wird. Die Vertrautheit der beiden war ein Glanzstück, so unbesiegbar schien sie, so maßgeschneidert. Rilke hat das Buch dieser poetischen Intimität übersetzt und damit sicher ein (deutsches) Meer von Tränen losgetreten: Bei uns allen, die wir erkennen mussten, zu welchen Ekstasen andere fähig sind. »How do I love thee? Let me count the ways …«, Wie ich dich liebe? Lass mich zählen wie . Das Sakrament der Liebe, in 44 Gedichten kann man es nachlesen.
Irgendwann muss Ishan aussteigen, denn hier liegen die Kühe und sein Kuhdorf. Das ist der Ort, von dem er sich jeden Nachmittag auf den Weg macht, um von der »power of words«, so sagte er, zu erfahren. Von Rilke (mein Hinweis) hatte er noch nichts gehört, aber er schrieb sofort den Namen auf, will ihn im Unterricht vorschlagen.
Ist das nicht Ausdruck perfekten Multikultis? Weil sich vor langer Zeit ein Mann und eine Frau im fernen England geliebt haben und von dieser Liebe mit zauberischen Versen berichteten, reden ein Inder und ein Deutscher noch 160 Jahre später davon. Auf lärmiger Fahrt über die Schlaglöcher von Uttar Pradesh. Wir winken uns heftig zu. Um den Halbwüchsigen mache ich mir keine Sorgen. Er hat bereits etwas entdeckt, was ihn noch in den unseligsten Zeiten beflügeln wird: Die Macht, die Übermacht von Sprache.
Ich habe diesen Morgen meditiert. Und beweise nur wieder,
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