Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
verkehrte Adresse und es ist – in einer halben Stunde werde ich es wissen – der absolut rechte Ort.
Ich verehre alte Männer, ein Gefühl, das ich seit meiner Jugend kenne. War ich doch immer auf der Suche nach einem, der mir als Vater gefallen hätte. Und der alte Harisingh ist so einer. Humorvoll, gütig, souverän. Er führt mich herum, ein paar Flachbauten stehen zwischen Garten und Gemüsefeldern. Still ist es. Wir setzen uns in den Vorhof, ich darf fragen und der Mann weiß jede Antwort. Vipassana ist eine alte Meditationstechnik, von der schon Buddha sprach. Hier wird sie in 10-Tage-Kursen unterrichtet. Wie jetzt. Deshalb die Stille.
Der Name des Gründers dieses Zentrums (und anderer, weltweit) ist mir neu, Satya Narayan Goenka, ein Inder, der mithalf, die lang verschollene Tradition nach Indien zurückzubringen. Und soweit man sehen und hören kann, machte er nichts falsch. Nicht weit von Varanasi, mitten in verträumter Landschaft, steht ein von bunten Mauern geschützter Raum zur Verfügung, an dem alle Glaubensschwachen gefahrlos ausatmen dürfen.
Nicht ein einziges Bild des heute 85-Jährigen ist zu sehen, kein Heil Goenka, auch kein Heil Buddha, keine Büste und keine Statue, kein Devotionalientrödel, keine Niederwerfungen, kein Geschrei hinauf in den Himmel, kein Blick in die Hölle, kein in die Luft gestreckter Hintern, nirgends ein »Heiliger Stuhl« und ein »Heiliger Vater«, keine einzige göttliche Jungfrau, kein Dolch schwingender Abraham, keine Prophetien aus arabischen Höhlen, kein totgefolterter Gottessohn, keine Ideologie, kein Heilsgesang, kein ätherisches Raunen, kein Götzendienst, nein, nichts, immer nur (wenn ich denn Harisingh richtig verstanden habe): Du bist für dein Leben verantwortlich und kein außerirdisches Wesen wird deine Abstürze und Notlandungen verhindern. Auch nicht dein Glück.
Diesen Gedanken und diese radikale Selbstverantwortung auszuhalten, das kann man hier lernen. Zu lernen beginnen. In zehn Tagen und Nächten, in über zehn Stunden Meditation täglich, in vollkommenem Schweigen. Sich entfernen vom Gedröhn des Blödsinns, sich immer allein aushalten und dabei gleichzeitig ahnen, dass Erkenntnisse und Tiefen, auch Untiefen, auf einen warten, die ein Leben reicher machen. Weil man sich selbst näherkommt und – welch fulminanter Nebeneffekt – näher den anderen. Weil man Zustände und Befunde, Schmerzen und Glückswellen erfährt, die inniger und intensiver verbinden als fernhalten.
Wenn jemand schon auf himmlische Kräfte verzichtet, muss er sich an die irdischen halten, an die Männer und Frauen, denen er in seinem Leben begegnet. Meditation kann außerdem – ich weiß es aus lang zurückliegenden Zeiten in einem japanischen Zenkloster – zur Menschenfreundlichkeit beitragen. Da ich ein schwacher Mensch bin, ging inzwischen die Bereitschaft dazu oft verloren. Ich muss sie wieder finden, mir jetzt endgültig aneignen. Als meinen (aberwitzig bescheidenen) Beitrag gegen den Irrsinn der Zeiten.
Schon überraschend, wie sich die Prioritäten im Laufe eines Lebens ändern. Früher wollte man die Welt aus den Angeln heben, heute kämpft man darum, die Hornhaut abzutragen, die das Herz zu ersticken droht.
In knapp zwei Wochen beginnt ein neuer Kurs, ich melde mich an. Weder die Zelle noch der Unterricht noch das Essen sind kostenpflichtig. Alles frei. Wer will, kann am Ende eine Spende dalassen. Nach eigenem Ermessen. Ich erlebe gerade ein kleines Wunder. Kein Persönlichkeitskult, keine Gehirnwäsche, keine Abzocke finden hier statt. Nur eins wird gefordert, und Harisingh erwähnt es beim Abschied zum zweiten Mal: »Sei fest entschlossen, durchzuhalten. Die zehn Tage sind eine gemeine Zumutung.«
Wieder bei Malulal aufsitzen. Er ist hochzufrieden, denn seine Irrfahrt brachte uns direkt ans Ziel. Das muss gefeiert werden. Nach kurzer Fahrt kommen wir an fünf Männern vorbei, sie sitzen am Wegrand und die Tonpfeife macht die Runde. Feiner Ganja-Duft zieht durch die Luft. Wir dürfen mitrauchen, mehrmals wird das Marihuana nachgestopft. Lang lebe die Kunst des Meditierens, des Versenkens in die Geheimnisse der Seele. Und lang lebe der Leib und seine Freude am Rausch. Da uns heute früh ein Polizeijeep überholte, frage ich Malulal, ob es nicht klüger wäre, uns hinter einer Hauswand zu amüsieren. Und der dreifache Familienvater antwortet unheimlich sachlich: »Police look, bamboo. Police no look, no bamboo.« Verstanden. Werden wir gesehen, zischt
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