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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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der Bambusknüppel, werden wir nicht gesehen, zischt er nicht. Da wir uns in Indien befinden, ziehen wir daraus keine Konsequenzen. Wir bleiben und inhalieren im hellsten Sonnenlicht das schöne Gift.
    Weiter nach Sarnath. Durch Dörfer, vorbei an Büffeln und Misthaufen, spielenden Kindern und – Männern, die dasitzen. Die ganze Straße entlang. Die nichts Schöneres wissen als sitzen. Wunsch- und bewegungslos. Rauchen nicht mal, lesen nicht, reden nicht. Nein, nur sitzen, nur dasein, nur schauen. Unfassbar, ungeheuerlich. Und nie verspüren sie den Wunsch, aufzuspringen und loszurennen.
    Plötzlich tausche ich im Kopf die Rollen, bin ab sofort Inder mit dem genetischen Set von 4000 Jahren Indien und sehe einen Weißen (das wäre ich), einen Europäer, der wie ein Kreisel morgens um sieben Uhr hochspringt, eisig duscht, das Frühstück runterwürgt und lossprintet, das Gesicht verzerrt, den Adrenalinspiegel anheizt, genervt die Stimme hebt, um Tickets rauft, unbedingt die Welt sehen will, unbedingt, jeden Tag hundert Seiten lesen will, unbedingt glaubt, dass des Lebens Sinn und Herausforderungen per Vollgas erledigt werden müssen. Voller Verwunderung drehe ich mich (ich, der Inder) von dem Verrückten ab. Himmel, wie erfüllt ist mein Leben, wie bescheiden gehe ich mit der Natur um, wie grenzenlos im Einklang mit mir und den anderen verläuft mein Dasein.
    Und abrupt schalte ich zurück, bin wieder ich, bin wieder der Hochgeschwindigkeits-Weiße, der nicht fassen kann, dass man so lethargisch in den Tag glotzen, so stinkbequem seine Zeit verschleudern kann. Mir wird klar, dass wir beide – er, der Inder, und ich, der Deutsche – um Gnade winselten, würde ein Dritter uns zwingen, des anderen Existenz zu führen. Und dass wir beide die intelligentesten Gründe vorbringen könnten, warum wir so leben, wie wir leben. Und ich um kein Haar die besseren, die »moralischeren« Argumente aufzählen könnte, um mein Sein zu rechtfertigen. Nichts an meinem Tun macht die Welt schöner, bewohnbarer, nichts. Da ich zudem eher selten an den Fortschritt glaube, bliebe mein Plädoyer, um meinen Stress – den Stress des Weißen Mannes – zu rechtfertigen, höchst umstritten.
    Und trotzdem schinde ich mich. Warum? Weil ich darauf bestehe, dass das Leben ein Geschenk ist, das man ausbeuten muss, ausleben und randvoll machen. Gerade weil ich streng ungläubig bin, mich nie mit der Aussicht auf Paradiese und jenseitige Schlaraffenländer tröste, gerade deshalb bleibt Leuten wie mir nichts anderes als der Planet Erde und die paar Jahre, die uns vergönnt sind. Deshalb die Hetze, die Suche, das neurotische Drängen.
    Doch ich irre mich. In Wirklichkeit würde der Inder wohl leiser winseln als ich, wenn man ihn zwänge, mein »weißes« Leben anzunehmen. Denn er würde das fremde Schicksal – das Getriebensein – irgendwann akzeptieren, es als »schlechtes Karma« begreifen, sich fügen in die Strafe für seine bösen Taten. Mit der Ergebenheit aller, die an hundert oder hunderttausend Wiedergeburten glauben. Ich, der Nicht-Inder, würde mich nicht abfinden. Ich würde eines Tages – wieder auf einem Stuhl dösend, wieder nur auf Kühe und Misthaufen blickend – dem Dorfpolizisten die Flinte entreißen und Amok laufen. Ich habe kein Gen, das mich zu weiser Hinnahme verführt. Ich habe nur dieses Leben. Das wäre die einzige Rechtfertigung, die ich vor Gericht zu meiner Verteidigung anführen könnte. Keine allerdings wäre famoser und überzeugender.
    Das letzte Stück zurück gehe ich zu Fuß, neben der Rikscha. Ich kann nicht mehr zuschauen, wie der Dünne sich über das Straßenpflaster plagt. Malulal dankt es mit einem bravourösen Satz, denn ich frage ihn, wie es in Sachen Eros hier auf dem Land aussähe. Und der 35-jährige Ehemann prompt und bedenkenlos: »No sex, only love marriage.«
    In Varanasi besteige ich den Bus nach Gorakhpur, die Stadt liegt auf halber Strecke nach Nepal, wo ich hinmuss. Ich bekomme einen Fensterplatz, die Rostlaube rumpelt aus dem Bahnhof und – man schließt die Augen vor Freude – ein wunderliches Glück holt den Reisenden ein. Man ist mitten in Indien und dennoch vom ihm erlöst. Kein Raufen mehr um ein Ticket, kein Sprinten Richtung Trittbrett, kein Festklammern des Rucksacks. Alles ist mit einem Mal Vergangenheit. Man schaut nach draußen und durch das Fenster weht Indien. Für Stunden ist man unverwundbar.
    Gestern Abend las ich einen Bericht über einen Psychiater, der Rilke angeboten

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