Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
was längst bewiesen ist. Ein Mensch strahlt hinterher etwas aus, was andere einlädt, näherzukommen. Ja, durch stilles Dasitzen wird jeder attraktiver. Das klingt bizarr, aber die Erfahrung zeigt immer in dieselbe Richtung.
Ein Mann setzt sich auf den jetzt freien Platz neben mich und ich frage ihn, ob er glücklich ist (er sieht danach aus). Völlig entspannt kommt die Antwort: »Yes, because I meet you.« Kann man einem Wildfremden einen wärmeren Satz schenken? Und kein Pferdefuß folgt. Deepak will nur dasein, nah. Wie ein glücklicher Jäger neben seiner Beute. In keinem Land der Erde haben sie mehr Verrückte pro Quadratmeter als auf dem Subkontinent. »Verrückt« als Prädikat gemeint, ja, als Prädikat wertvoll , da es einen auszeichnet, der sich unterscheidet vom gesichtslosen Nobody.
Indien zieht vorbei, Hinterindien. Keine Überraschung, wenn Buddha hier, auf diesem Erdteil, von der Idee ergriffen wurde, dass »alles vergeht«, dass es kein »Ewiges« im Universum gibt, dass nichts existiert, das nicht dem ehernen Gesetz der Vergänglichkeit unterworfen ist. Vor 2500 Jahren muss es in dem Land, sagen wir, auf dem Hinterland, nicht viel anders als heute ausgesehen haben. Adobehäuser, mit Kuhfladen an den Mauern, alles uralt und verwitternd. Selbst das Neue sieht nur für Augenblicke neu aus. Ein Schild, vorgestern montiert, rostet am dritten Tag. Ein nagelneues Radio bleibt keine drei Stunden nagelneu, dann knickt die Antenne. Das fabrik-gelieferte Fahrrad ist nach zwei Monaten reif für die Verschrottung. Die Begabung der Einwohner, ungerührt und gleichmütig dem Niedergang zuzusehen, ist grenzenlos. Und sicherlich seit Urzeiten vorhanden. Überall leuchten die Zeichen der Auflösung und nichts drängt den Inder, resolut einzuschreiten.
Ein konkretes Beispiel, vor Tagen in Neu-Delhi erlebt, mitten in der Hauptstadt. Ich trug ein halbes Kilo Müll mit mir herum, Obstschalen, Papier etc., und suchte einen Abfalleimer. Ich kann nicht sagen, wie viele Kilometer ich in diesem Land schon zurückgelegt habe, um als öko-vorbildlicher Reisender mein Scherflein gegen den Untergang der Welt beizutragen. Und irgendwann, ja, irgendwann, fand ich einen Abfalleimer. Aber ohne Boden. Sinnige Metapher. Indien als Fass ohne Boden. In diesem Augenblick hatte auch ich eine Erleuchtung, okay, eine kleine, eine winzige: dass ich es in Zukunft wie die Inder mache. Dass ich das nächste Eck suche und alles fallenlasse, was ich nicht brauche.
Ich weiß noch heute nicht, ob Inder radikale Pessimisten sind. Erkennen sie doch keinen Sinn darin, die Dinge zu erhalten. Oder steckt in ihnen ein vollkommener Optimist? Da immer überzeugt, dass alles – ganz ohne Hilfe von außen – seinen Weg geht, stets zu einem guten Ende führt. Nichts scheint wichtig, nichts soll die innere Balance stören.
Auch jetzt nicht, als der Bus hält und eine Frau zusteigt. Das Vehikel ist voll, nur auf einer Sitzbank für drei gäbe es noch Platz. Aber dort flegeln breitbeinig zwei Männer, wenig interessiert an der (älteren) Passagierin. Ich spiele gern den Ritter, deshalb erinnere ich die beiden kurz an die Grundregeln zivilisierten Zusammenlebens. Das hilft, die Mehlsäcke bewegen sich. Hier handelt es sich natürlich um kein typisch indisches Phänomen, hier grassiert nur der typisch weltweite Niedergang eleganten Benehmens. Wäre jetzt der rechte Zeitpunkt, ich würde den beiden von Buddha erzählen. Predigen, was er predigte: Höflichkeit als Existenzform, als eine der Siebensachen, mit denen man grundsätzlich unterwegs sein sollte.
Abends in Gorakhpur, nur Zwischenstation. Um in einem Hotel zu übernachten, in dem sie vergaßen, die verfleckten Leintücher auszuwechseln, sich dafür aber Zeit für einen ausgeklügelten Papierkrieg nehmen. Um Formulare auszufüllen, die kurz darauf in der Remise der Ewigkeit landen. Ich schaue mir zu und sehe, dass ich bisweilen etwas predige, was mir hinterher, nach dem Predigen, selbst fehlt. Höflich sein, ein Beispiel. Als ich später – nach dem Krieg und dem Wechseln der Bettwäsche – noch auf die Straße trete, ist es schon dunkel und tot. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Stadt »absolut nichts zu bieten hat«. Das scheint die reine Wahrheit.
Der nächste Tag wird fordernd. Ab 7.30 Uhr mit dem Bus nach Sunauli, dem letzten indischen Ort vor der Grenze nach Nepal. Um 7.35 Uhr legt der Fahrer eine DVD ein, Sekunden später hagelt es Leichen, Schreie und Gewehrsalven. Ich kann das alles nur
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