Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
ahnen, denn es ist so voll, dass ich von meinem Sitzplatz aus lediglich bis zum Rücken des (stehenden) Vordermannes sehen kann. Nach den ersten siebzehn Schusswechseln kommt es zu einer kurzzeitigen Waffenruhe, jetzt hüpfen die Verliebten aufeinander zu und trällern. Und die als Pumuckl verkleideten Freunde hocken im Gebüsch (ich kann einen Blick erhaschen) und warten darauf, von dem hüpfenden Liebespaar entdeckt zu werden. Um auch mitzuhüpfen und mitzuträllern. Indische Filme sind eine Mischung aus beispielloser Gewalt, infantilem Bezirzen und schwer zu schlagender Dümmlichkeit. Dazu passen die Statements der Bollywood-Stars, die sich zur Zeit täglich und politisch hochkorrekt über die Politiker des Landes auslassen, über deren Versagen, die Terrorattacken auf Mumbai nicht verhindert zu haben, deren Unfähigkeit, das »Volk zu führen«. Ach, die Scheinheiligkeit, ach, die Hochmoralischen. Als ob der Schwachsinn, den sie per Fließband – manche Zelluloid-Athleten produzieren drei Filme gleichzeitig – unters Volk bringen, dazu beitrüge, es zu »erziehen«.
Nach drei Stunden und vierzig Minuten sind die sechzig Kilometer geschafft. Jetzt sausen weitere Kinnhaken. Der RikschaFahrer verlangt das Doppelte vom vereinbarten Preis und der Geldwechsler verkauft seine nepalesischen Rupien für zwanzig Prozent über dem heutigen Kurswert. Er kann sich das erlauben, denn er weiß, dass ich etwas nicht habe, wovon er im Überfluss besitzt: Zeit. Ich könnte einen suchen, der sein Geschäft fairer betreibt. Aber dafür müsste ich etwas hergeben, was wertvoller ist als alles andere. Also zahle ich den Wucherpreis. Ähnlich beim Grenzübergang, hier arbeitet nicht der nepalesische Zoll, sondern die hiesige Mafia. Ich lege dreißig Dollar für das Visum auf den Tisch. Die fünf zuviel gezahlten wollen sie nicht herausgeben. »Sorry, no change.« Wieder bin ich unter Zeitdruck, wieder wissen sie das. Aber ich verweise auf meine Rückkehr in ein paar Stunden und dass ich eben dann den Schein einfordern werde.
Auf solche Situationen kann man verschieden reagieren. Der Gutmensch würde nun ausrufen, dass der Weiße eben jahrhundertelang als Schweinehund in diesen Ländern gewütet hat und sich die Einwohner nur zurückholen, was ihnen geraubt wurde. Das hat was, unbestritten gehört die weiße Rasse zur gierigeren Sorte Mensch. Aber ich war damals nicht dabei, habe niemanden geplündert, will einfach nicht als rastloser Büßer um die Welt reisen, mir nicht Tag und Nacht das schmucke Kleid des Betroffenheitsapostels überziehen. Ich habe aber auch kein Verlangen, den Zöllnern (und der Zöllnerin) mit zwei erigierten Zeigefingern die Leviten zu lesen. Ich bin nicht um ein Haar integrer als das feiste Pack in der Baracke. Wäre ich so miserabel bezahlt wie sie, ich hätte mich längst als Krimineller verabschiedet. Nein, ich bin ein denkbar einfacher Mensch: Die fünf Dollar gehören mir und ich will sie zurück. Zudem würde das bauernschlaue Personal das Geld nicht in den Aufbau Nepals investieren, sondern – strikt nach Hackordnung – unter sich aufteilen.
Ich finde zwei junge Nepalesen, Alok und Ajay, die zusammen ein Taxi betreiben. Wir legen den Preis fest, sie sagen mehrmals »yes« und nicken dabei mit dem Kopf. Ich schreibe die Zahl 750 auf, »no problem, yes«. Wieder Kopfnicken. Auf zum 22 Kilometer entfernten Lumbini, dem Ort, an dem Buddha im Jahr 570 oder 563 oder 544 vor unserer Zeitrechnung geboren wurde. Um mich ein letztes Mal zu wiederholen: Nichts ist bewiesen, weder Ort noch Datum. Letzte Forschungen schließen nicht aus, dass Siddhartha, so sein »bürgerlicher« Name, erst 450 zur Welt kam. Vielleicht. In den buddhistischen Texten wird sein Erscheinen hienieden blumig, himmelrein und bar aller menschlichen Vorarbeiten (kein Beischlaf zwischen den Bud dha-Eltern!) beschrieben. So ammentreu, sternschnuppig und geschlechtsfrei wie ein halbes Jahrtausend später die Geburt Jesu in Palästina. Von Evangelist Lukas. Märchenstunde, einmal im Fernen Osten, einmal im Nahen. Buddhas Mutter hieß Maya, die Christen-Mutter Maria. War die erste »erhaben über alle irdischen Frauen«, war die zweite »gebenedeit unter den Weibern«. Kein Wunder, dass man sich für Mohammeds Mutter, jetzt die dritte Mutter aller Mütter, den Vornamen »Tochter des himmlischen Geschenks« ausgedacht hat. Das erinnert mich an die drei Reiseführer, die gestern in meinem Hotel herumlagen. Einer schreibt vom anderen ab. Einer
Weitere Kostenlose Bücher