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Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!

Titel: Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Ende des Waggons mehr Sauerstoff zur Verfügung steht. So quetschen sich die Dünnen und Dicken an meinem Kopf vorbei, idiotischerweise habe ich mich für einen Sitzplatz neben dem Gang entschieden. Da ich mich am Gepäckträger über mir – längst von Großfamilien in Beschlag genommen – festkralle, kann ich den Platz halten. Jeder Fluchtgedanke zwecklos, da jeder Fluchtweg irgendwann verbarrikadiert ist. Verstellt von Männerleibern, die sich abwechselnd nachlässig oder heftig an ihren primären Geschlechtsorganen kratzen. Eine indische Manie, ungeniert und unausrottbar. Geruchslinie zwischen meiner Nase und einem Dutzend hiesiger Unterhosen: eine Handbreit, manchmal zwei.
    Wir stehen immer noch, irgendwann spazieren die Neuankömmlinge über die Schultern (!!!) der bereits Anwesenden, einige Kubikmeter Luftraum sind noch zu haben. Mir fällt ein Plakat ein, das in Patna hing: »Beware of terrorists«. Wenn jetzt einer den Auslöser neben seinem Bauchnabel drückt, dann tapezieren wir (und er) als Fleischkrümel die angerosteten Wände. Irgendwann ruckt es, wir fahren.
    Und nun die Belohnung. Auch für die Angst, die Nicht-Inder in solchen Situationen überkommt. Denn verliert jetzt jemand die Nerven – nur ausgelöst durch die brachiale Enge, nicht durch ein Attentat –, dann wird aus dem Chaos die nackte Panik. Aber wir sind in Indien, dem Land, mit dem es kein anderes Land aufnehmen kann. Und einmal mehr wird klar, dass die dritte Klasse Aussichten auf phänomenale Situationen gewährt, ja jeder Schweißtropfen und jede Atemnot vergolten werden mit Erkenntnissen, die den Welthungrigen versöhnen.
    Als Wunder verkleidet erscheint diesmal ein Erdnuss-Mann. Und wie einer, den kein Naturgesetz schreckt, fräst er sich zwischen den Leibern hindurch, balanciert die Schüssel mit seiner Ware über den Köpfen, krächzt unverdrossen und ausgelassen: »Peanuts! Peanuts! Peanuts!« Und ich bitte – obwohl ich sie nicht ausstehen kann – um eine Tüte Erdnüsse. Ich will wissen, wie der Mann – gepfercht zwischen Tonnen von Menschenfleisch – die Schale von oben nach unten hievt. Es scheint unmöglich. Doch in diesem Augenblick wird jedem Beteiligten klar, dass das indische Herz so unendlich dehnbar ist wie das Universum: Alle Umstehenden biegen sich nach vorn, nach links, nach rechts, nach hinten: damit Platz für das Blech wird und die beiden Hände, die nun die Waage in Stellung bringen und die Ware eintüten. Und plötzlich sind alle so gerührt von dem Jongleur und seiner Akrobatik, dass jeder umgehend eine Portion bestellt. Es ist ein wunderbarer Augenblick der Eintracht, der Fähigkeit und Bereitschaft jedes Einzelnen, die eigene Strapaze zu vergessen, um einem anderen, einem so Fremden, zu helfen. Mir wässern die Augen. Vor Glück, vor Dankbarkeit.
    Nach einer Stunde wird der Zug leerer, ein Teil der Arbeiter und Angestellten steigt an den verschiedenen Stationen aus. Es ist noch immer brechend voll, aber nicht mehr indisch brechend voll. Ein junger Kerl setzt sich mir gegenüber, er hat ein waches, scheues Gesicht, ich spüre, dass er mit mir reden will. Das geht, denn Worte brauchen keinen Raum, sie sind bescheidener als Luft. Ich fange an:
    – How old are you?
    – I am eighteen.
    – You have a girlfriend?
    – No, I study, I am not interested.
    – But when you finish?
    – Yes, then I am interested. But sex only after marriage.
    Manish erzählt, dass nach dem Examen seine Eltern auf Brautschau für ihn gehen werden. Ok, das Übliche. Vorher will und kann (!) er nicht an Sex denken. Denn Geschlechtsverkehr vor der Hochzeit wäre gegen seine Religion, da »schmutzig«. Er würde mit »Höllenqualen bestraft«, Teufel würden »heiße Brühe in mein Blut schütten«, sie würden ihn »schlagen und zwicken«, so schlimm, dass »ich nie mehr den Mond und die Sonne aufgehen sehen würde«.
    Ich höre gern die Albereien, die als ewige Wahrheiten das Schafsvolk drangsalieren. Umso lieber, als ich wieder weiß, dass ich dem Gatter entkommen bin. Gleichzeitig empfinde ich Mitleid mit Manish, da er nicht wie ein Schaf aussieht, nur Opfer einer Verdummungsorgie ist. So provoziere ich ihn, beichte aus meiner Jugend, von meiner (Ex-)Religion, die mit ähnlich grobem Schwachsinn meinen kindlichen Verstand versaute. Ich jedoch – bald aufgeklärt und aufgehetzt von helleren Geistern – die Richtung wechselte und begriff, dass es genau umgekehrt war: Solange ich keinen Sex hatte, piesackten Teufel meinen Leib,

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