Triffst du Buddha, töte ihn! - Altmann, A: Triffst du Buddha, töte ihn!
folterten ihn mit höllischen Qualen. Und dass ich, nach den ersten intimen Begegnungen, nie mehr begriffen habe, wie eine der fulminantesten Wonnen menschlicher Existenz eine solche Wut, eine solch sadistische Lust auf Besudelung auslösen kann.
Dem Halbwüchsigen glühen die Ohren. So manches kommt ihm wohl bekannt vor. Wie mein turbulentes Sehnen von damals, dem seinen von heute sicher nicht unähnlich. Verwirrt reicht er mir bei der Ankunft in Gaya die Hand. Hoffentlich beginnt mein Gegengift bald zu wirken. Damit er eigenverantwortlich sein Hirn in Betrieb nimmt und gegen den Geifer der Dunkelbirnen rebelliert. Um ihn zusätzlich zu stärken, schreibe ich ihm ein Gedicht von Ikkyu Sojun auf, einem japanischen Zenmeister aus dem 15. Jahrhundert. Das muss ein fröhlicher Mensch gewesen sein, ein penetranter Widerspruchsgeist, oft die Habsucht und Scheinheiligkeit seiner Hierarchie verspottend. Zum Skandal wurde er, als er behauptete, dass Eros nicht minder tauge als der klösterliche Lotussitz, um erleuchtet zu werden. Denn auch der Buddhismus wurde nicht berühmt für seine Gesänge auf die Freuden der Sinnlichkeit. Aber Ikkyo Sojun, die »verrückte Wolke«, ließ den Taten Worte folgen. Wie die Zeilen »Nächtliches Gespräch im Schlafgemach«. Sie sollen jetzt Manish gehören. Ich bin sicher, dass er sie sorgfältig verstecken wird:
In die Einsamkeit
Der Berge und Seen
Fliehen sie
Die weltlichem Tun entsagten
Und bleiben gefangen
Im Streben nach Ehre und Macht
Mein mönchisches Laken
Deckt Nacht für Nacht
Uns Liebende zu
Flüsternde Zärtlichkeit
Beglückende Anmut
Welch süßer Friede
Die letzten dreizehn Kilometer mit einer Rikscha nach Bodhgaya, ein Hotel ist schnell gefunden. Wie unter den Nachwirkungen einer Droge liege ich im Bett. Umso berauschter, als bald der Strom ausfällt und die schrille Hochzeitsmusik aus dem Nebenhaus verstummt. Technischer Rückschritt trägt bisweilen unüberhörbar zum Frieden auf Erden bei. Indien ist die Droge, heute hat es mich überhäuft mit Geschenken. Sehen und lernen sind nur andere Namen für Glück, für reich, für mitten im Leben sein.
Bodhgaya ist meine letzte Station, der vierte, der »heiligste« Ort des Buddhismus. Die kleine Stadt schafft man zu Fuß. Kein Drängen und Schieben. Die Mumbai-Attentäter haben die Touristen verscheucht. Am Weg kann man die verschiedenen Tempel besichtigen. Irgendwo hat ein Ergriffener – auf Deutsch – in eine Wand geritzt: »Der Weg nach innen ist der einzige Weg.« Welch munterer Nonsens. Ich muss mich leider wiederholen: Wenn mich die Suche nur »nach innen« und nicht auch »nach außen« führt, also zurück in die Welt, hin zu den Weltbewohnern, dann will ich auf den Innenweg verzichten. Ich will mich nicht in mich verkriechen, nicht heilige Nabelschau treiben, ich will die Innenwelt und die Außenwelt. Die eine soll die andere nähren. Und umgekehrt.
Zum Mahabodhi-Tempel, die Originalversion wurde etwa zwei Jahrhunderte nach unserer Zeitrechnung errichtet, später von Moslems zerstört, um 1880 restauriert. Das Gebäude ist heilig, aber am heiligsten ist der Bodhi Tree , der Erleuchtungsbaum. Direkt daneben. Hier, so will es die Tradition, hat Gautama, der ehemalige Prinzensohn, das »Große Erwachen« erreicht. Ich schreibe das alles mit denselben blassen Worten hin, wie es überall nachzulesen ist. Ich kann nicht klug mitreden, so wenig klug wie alle anderen, die auch nicht dabei waren. Die »genaue« Stelle der Verwandlung, eine Plattform aus rotem Sandstein, ist eingezäunt. Der »Diamantenthron« bleibt unberührbar. Wir Unerleuchteten dürfen nur hinschauen. Oder daran vorbeipilgern, murmeln, Gebetsmühlen drehen, winzige Goldplättchen an die Tempelmauer kleben.
Ich setze mich, drei Schritte weg, will schauen und denken. Ich bin noch nicht fertig mit dem Wort »Illumination«, kein anderes wird in diesen Breitengraden unbedachter ausgesprochen. Handelt es sich um einen Zustand, in dem der Mensch nicht mehr leidet? Weil er das Ego loswurde und von Stund an nicht mehr getrieben wird von »Ich will« und »Ich will nicht«, nicht mehr gejagt vom Verlangen nach Erfolg, nach Geld, nach Frauen und Männern, nach Lob, nach Leben? Aber wie soll das gehen? Wo soll ich meine Sehnsüchte abgeben und nichts mehr begehren? Funktioniert das? Ist das menschlich? Ist das nicht ein seltsam neurotisches Ansinnen? So was Weltflüchtiges? Schon möglich, dass aus einem königlichen Jüngling ein Buddha wurde, der
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